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Neue digitale Wege
Wenn die Corona-Krise das Reisen unmöglich macht, sind Einfallsreichtum und die Bereitschaft neue Wege zu gehen gefragt. Eigentlich reist Nils Liesner, Auslandsmonteur der Liebherr-MCCtec Rostock GmbH, zum Erstaufbau eines Hafenmobilkrans an dessen Einsatzort. Im Mai 2020 begleitete er die Inbetriebnahme eines Hafenmobilkrans in Argentinien stattdessen das erste Mal über das Remote-Service-Tool von Deutschland aus.
Eine Inbetriebnahme unter außergewöhnlichen Umständen
Die Montage des Hafenmobilkrans LHM 420 für den Kunden Euroamerica in Campana, Argentinien, vereinte gleich zwei Premieren in sich: es ist nicht nur der erste Kran dieses Typs in dem südamerikanischen Land, sondern auch der erste Hafenmobilkran der mit Hilfe des neuen Fernwartungstools von Liebherr aufgebaut wurde. Dafür waren eine detaillierte Vorplanung und eine Prise Improvisationstalent gefragt. Nils Liesner und seine Kollegen Tony Johann, technischer Berater für Hafenmobilkrane, und Christian Lübke, Kundendienstleiter der Liebherr-MCCtec Rostock GmbH, berichten im Interview von der ersten Remote-Inbetriebnahme in Corona-Zeiten.
Wie läuft der Aufbau eines Hafenmobilkrans normalerweise ab und wie hat Corona ihre ursprünglichen Pläne beeinflusst?
Tony Johann: Wir haben den Hafenmobilkran im Mai 2020 in Einzelteile zerlegt nach Campana in Argentinien geliefert. Unter normalen Umständen wären zwei Monteure aus Rostock dorthin gereist, um das Entladen der Kranteile zu begleiten, die Montage gemeinsam mit Kollegen der lokalen Servicegesellschaft Liebherr Argentina S.A. durchzuführen und den einsatzbereiten Kran dann im Juni 2020 an unseren Kunden zu übergeben. Durch die Corona-Krise war eine Einreise nach Argentinien aber nicht möglich und eine andere Lösung musste her. Wir beschlossen deshalb, dass unsere argentinischen Kollegen Alan Irazoqui und Cristian Bovino zum ersten Mal die Montage allein übernehmen sollten, während wir sie aus der Ferne unterstützen und anleiten würden.
Nils Liesner: Anfangs waren viele Kollegen sehr skeptisch, ob eine Remote-Inbetriebnahme funktionieren könnte. Ich auch, als ich gefragt wurde, ob ich den Einsatz als Monteur über das Remote-Service-Tool betreuen würde. Letztendlich hatten wir aber auch nichts zu verlieren und haben es einfach versucht. Denn die einzige Alternative bestand darin, dass der Kran bis auf unbestimmte Zeit in Einzelteilen darauf wartet, dass wir wieder einreisen können. Das ist bis heute nicht der Fall.
Anfangs waren viele Kollegen sehr skeptisch, ob eine Remote-Inbetriebnahme funktionieren könnte. Letztendlich hatten wir aber auch nichts zu verlieren und haben es einfach versucht.
Welche Vorkehrungen trafen Sie, um diese Remote-Montage möglich zu machen?
Christian Lübke: Zu Beginn mussten wir sicherstellen, dass die technische Ausstattung vor Ort gut genug war, um die Unterstützung über die App zur Fernwartung möglich zu machen. Im Hafen wurden deshalb Kameras installiert und die argentinischen Monteure wurden mit Mobiltelefonen ausgestattet, mit deren hochwertigen Kameras sie Nils Liesner über die App auch Detailaufnahmen schicken konnten.
Tony Johann: Außerdem haben wir einen 60-seitigen, technischen Leitfaden für den Aufbau des Krans verfasst, der die einzelnen Montageschritte grob erläutert und den Kollegen vor Ort als erster Anhaltspunkt dienen sollte. Das allein reichte aber nicht aus. Die Beratung durch einen erfahrenen Monteur in Echtzeit ist unverzichtbar, denn auf Grund von Sprachbarrieren bergen rein schriftliche Anleitungen immer ein Restrisiko für Missverständnisse.
Herr Liesner, wie lief die Kranmontage nach all der Vorbereitung dann ab?
Nils Liesner: Meine Arbeit begann mit dem Entladen der Kranteile. Ich habe unsere argentinischen Kollegen beraten, etwa bei der Platzierung der Einzelteile des Krans, um später einen möglichst strategischen und zügigen Aufbau zu ermöglichen. Zu Beginn hatten wir noch einige technische Schwierigkeiten mit den Kameras, weshalb ich die Gegebenheiten erstmal anhand von Fotos vor Ort beurteilte. Nachdem eine schnellere Internetverbindung installiert wurde, konnten wir dann richtig loslegen.
Wir hatten tägliche Abstimmungsrunden, in denen ich den Kollegen vor Ort Details der Montageanleitung nochmals genauer erläutern und Fragen beantworten konnte. Das war insbesondere dann hilfreich, wenn ich ihnen Tipps geben konnte, die man erst mit der Zeit und zunehmender Erfahrung beim Aufbau von Hafenmobilkranen sammelt. Etwa als es darum ging den Turm des LHM 420 zu montieren. Das ist einer der aufwendigsten Montageschritte, bei dem es vor allem auf gutes Zeitmanagement ankommt, um die Arbeiten innerhalb eines Tages fertigstellen zu können.
Glauben Sie, dass Einsätze wie dieser, bei dem die Remote-Service-App eine tragende Rolle spielte, in Zukunft zunehmen werden?
Christian Lübke: Lösungen wie das Remote-Service-Tool sind sicher ein Teil unserer digitalisierten Zukunft. Allerdings werden wir die App wohl weniger dazu nutzen, um Inbetriebnahmen zu begleiten, sondern eher bei der Fehlerdiagnose bei Maschinen, die bereits im Einsatz sind. Durch die App zur Fernwartung können Fehler schneller identifiziert werden: Würde ein Monteur aktuell erst einmal anreisen, um dann festzustellen, dass die Pumpe beschädigt ist, könnte er diese unter Umständen erst bei einem zweiten Einsatz austauschen. Durch die digitale Fehlersuche kann der Monteur zeitgleich mit dem benötigen Ersatzteil beim Kunden eintreffen und den Fehler direkt beheben. Somit kann nicht nur die Fehlerdiagnose schneller gestartet werden, es entfallen auch Reisekosten – und letzten Endes reduziert sich unter Umständen auch die Zeit, in der der Kran nicht einsatzfähig ist.
Die Remote-Service-App
Die Remote-Service-App ist ein neues Tool von Liebherr zur verbesserten Fernwartung von maritimen Kranen, Raupenkranen, Seilbaggern und Spezialtiefbaumaschinen. Das Tool verfügt über verschiedene Features wie Audio- und Videoanrufe, eine Chat-Funktion, Screen-Sharing, Bild- und Dokumentenaustausch sowie Whiteboard-Funktionen. Dadurch wird weltweit in Echtzeit eine schnelle und effiziente Kundenunterstützung durch Liebherr-Experten ermöglicht.
Aufgrund der aktuellen weltweiten Pandemie hat Liebherr beschlossen, die Markteinführung des Remote Service im Rahmen einer verlängerten Testphase zu beschleunigen. Dadurch bekommen alle Liebherr-Kunden jetzt die Möglichkeit, die Remote-Service-App kostenfrei bis Ende 2020 zu nutzen. Dazu sind lediglich ein Laptop, ein Tablet oder Smartphone sowie eine Internetverbindung erforderlich.
Wie haben Sie die letzten Monate der Corona-Krise im Kundendienst erlebt?
Christian Lübke: Weltweit sind für die Liebherr-MCCtec Rostock GmbH zwischen 30 und 35 Monteure im Einsatz. Während der Hochphase der Corona-Krise im März 2020 mussten wir alle Serviceeinsätze einstellen und unsere Monteure auf teils abenteuerlichen Umwegen aus dem Ausland zurück nach Deutschland holen. Inzwischen sind rund zehn Kollegen wieder im Einsatz – natürlich unter Einhaltung der lokalen Hygiene- und Abstandsregelungen.
In den letzten Monaten ist der Bedarf nach einer App für Remote-Service durch Corona nochmal spürbar gestiegen, weshalb wir die Markteinführung im Sinne einer verlängerten Testphase beschleunigt haben. Unsere Kunden haben bis Ende 2020 kostenlosen Zugang zur Remote-Service-App. Wir konnten in diesem Jahr nochmal wertvolle Erfahrungen sammeln, die jetzt in die Weiterentwicklung der App fließen werden.
Welches Fazit ziehen Sie heute, wenn Sie auf die erste Inbetriebnahme aus der Ferne zurückblicken?
Nils Liesner: Für mich persönlich war diese Remote-Montage eine ungewohnte Situation. Normalerweise bin ich selbst vor Ort und kann mit anpacken – hier musste ich mich auf die Kollegen vor Ort verlassen. Rückblickend hat aber alles sehr gut geklappt.
Tony Johann: Und das obwohl die Situation für uns alle neu war und wir durch Corona viel improvisieren mussten. Im Endeffekt ist alles sehr gut gelaufen. Nach vier Wochen konnten wir den Kran zum ursprünglich geplanten Zeitpunkt an unseren Kunden übergeben.