26 Minuten | Magazin 01/2022
Von der Wiege bis zur Bahre
Im letzten UpLoad haben wir die Artikelserie „Nachhaltig“ gestartet. Nun berichten wir über eine interessante Studie in Kooperation mit dem Wirtschaftsberatungsunternehmen Frontier Economics. Dieses analysiert, wie sich bei Mobil- und Raupenkranen durch alternative Antriebe der Ausstoß von Treibhausgasen reduzieren lässt.
Interview
Hintergründe und Ergebnisse der Studie erklären uns der Technische Geschäftsführer Dr. Ulrich Hamme und der Abteilungsleiter Kranfahrzeuge, Phillip Federle. Dabei geben sie auch Einblick in konkrete Umsetzungen.
Warum holt sich Liebherr beim Thema nachhaltige Antriebe ein Wirtschaftsberatungsunternehmen ins Haus?
Dr. Hamme: Zur Erreichung der Klimaschutzziele und der Einhaltung des knappen Treibhausgas-Budgets muss die Volkswirtschaft umgebaut werden. Mobilkrane sind ein zentraler Bestandteil beim Umbau hin zu einer defossilisierten Volkswirtschaft, zum Beispiel bei der Errichtung von Windkraftanlagen und beim Umbau der Infrastruktur. Jedoch emittieren auch Mobilkrane Treibhausgase. Damit das verbleibende Treibhausgasbudget effizient eingesetzt werden kann, müssen auch Mobilkrane gesamtheitlichen Lebenszyklusanalysen unterzogen werden.
Motivation und Ziel von Liebherr war es, eine umfassende Treibhausgas-Lebenszyklusanalyse von Liebherr-Baumaschinen, insbesondere von Mobilkranen, durchzuführen. Das technische Know-how und die Produktkompetenz dazu wird von Liebherr eingebracht. Die volkswirtschaftliche Kompetenz und das Wissen zu umfassenden energetischen Betrachtungen und Bewertungen für Lebenszyklusanalysen kommt vom renommierten und erfahrenen Wirtschaftsberatungsunternehmen Frontier Economics.
Um alternative Antriebe für Mobilkrane aus ökologischer Perspektive richtig beurteilen zu können, muss der gesamte Lebenszyklus analysiert werden.
Federle: Liebherr und Frontier Economics haben für Mobilkrane analysiert, welche Mengen an Treibhausgasen über den gesamten Lebenszyklus verursacht werden. Denn auch sie sind, obwohl treibende Kraft bei der Defossilisierung und unersetzlich beim Ausbau der regenerativen Energien wie beispielsweise Windkraftanlagen, einer der Emittenten. Die Analysen von Frontier Economics beschränken sich auf die fundierte Ermittlung der Treibhausgasemissionen verschiedener Antriebstechnologien, spiegeln jedoch nicht wider, ob diese Ansätze technisch umsetzbar und zielführend sind.
Was steckt in einer Lebenszyklusanalyse?
Federle: Die Emissionen, die von einem Fahrzeug direkt ausgestoßen werden, lassen sich aus der Menge des getankten Kraftstoffs relativ einfach ermitteln. Am Beispiel von Elektrofahrzeugen kommt hier erst mal kein CO2 heraus. Wenn wir die Elektrofahrzeuge allerdings mit Kohlestrom betreiben, haben wir die Emissionen nur in einen anderen Bereich verschoben und nicht eingespart – das wird gerne bewusst oder unbewusst übersehen.
Die Energiegewinnung und die Energiebereitstellung darf man deshalb nicht vernachlässigen, denn der Umwelt ist es egal, wo, wann und warum Emissionen entstehen. Deshalb benötigt man ein ganzheitliches Bild. Dies erhält man aber erst, wenn man die Herstellung mitberücksichtigt. Hier werden die CO2-Emissionen beispielsweise bei Stahl von der Erzgewinnung über das Stahl- und Walzwerk unter Berücksichtigung von Recyclinganteilen und Verschnitt bis in den Kran berechnet. Und das für alle Materialien, egal ob Gummi, Kupfer, Elektronikkomponenten, Textil oder Aluminium. Das Thema Entsorgung von Komponenten bildet den Schlusspunkt. Erst jetzt hat man ein Bild, bei dem Emissionen nicht im blinden Fleck verschwinden können. Man kann dann auch nichts mehr schönreden. Es wird alles erfasst: von der Wiege bis zur Bahre oder „from cradle to grave“, wie man in der Branche sagt.
Dr. Ulrich Hamme - Geschäftsführer Konstruktion
Dr. Hamme: Denn so unzweifelhaft Mobilkrane eine wegbereitende Rolle für den klimafreundlichen Umbau der Volkswirtschaft einnehmen, so sind sie auch Treibhausgas-Emittenten und somit „Teil des Problems“. Auch sie müssen zunehmend neutral betrieben und hergestellt werden. Eine aussagefähige Treibhausgas-Bewertung muss also die Emissionen über den gesamten Lebenszyklus berücksichtigen. Lebenszyklen von mobilen Anwendungen wie dem Mobilkran umfassen mindestens die fünf folgenden Stufen:
- Herstellung (Cradle-to-Gate)
- Energieherstellung (Well-to-Tank)
- Infrastrukturausbau
- Mobilkrannutzung (Tank-to-Wheel)
- Verschrottung bzw. Recycling (End-of Life)
Was haben die Studien ergeben?
Dr. Hamme: Die Untersuchung des Mobilkrans, welche wir exemplarisch an einem LTM 1160-5.2 durchgeführt haben, hat uns aufgezeigt, wann er Treibhausgas emittiert. Zudem haben wir gesehen, wodurch diese Emissionen erzeugt werden und wie unterschiedliche Materialien oder Nutzungsszenarien zum CO2-Ausstoß beitragen. Natürlich können wir deshalb heute nicht einfach Komponenten aus dem Kran entfernen oder Funktionen, die der Kunde benötigt, weglassen. Aber es zeigt, worauf man den Fokus lenken muss.
Federle: Zudem haben wir bei der Studie nicht nur den aktuellen Kran mit allen seinen Komponenten, sondern auch alternative Antriebsformen kalkuliert, um diese miteinander vergleichen zu können. Untersucht haben wir nur solche Alternativen, die aus unserer heutigen Sicht praktisch möglich wären. Hier gibt es auf dem Markt und in den Diskussionen sicher noch weitere, technisch sehr interessante Ansätze. Allerdings gehen wir aktuell nicht davon aus, dass sich diese in den nächsten 10 bis 15 Jahren in der relevanten Infrastruktur durchsetzen können.
Stand heute können wir mit HVO rund 75 % der CO2-Emissionen über den kompletten Lebenszyklus einsparen.
Aber welchen Beitrag können denn die alternativen Antriebe leisten?
Federle: Wir setzen als Referenz den aktuellen Kran mit Dieselmotor mit 100% Emissionen an. Die Ergebnisse zeigen, dass mit dem Wissen und der Technik von heute die größte CO2-Einsparung mit hydrierten Pflanzenölen erreicht werden kann. Mit diesen hydrierten Pflanzenölen, kurz HVO, können wir über den kompletten Lebenszyklus rund 75 % der CO2-Emissionen einsparen. Mit E-Fuels, die ja für den Kran eine gleichwertige Technologie darstellen, können über 60 % der Emissionen eingespart werden.
Dr. Hamme: Bei einem Wasserstoffverbrennungsmotor würde man mit dem heute hergestellten Wasserstoff die Emissionen sogar noch erhöhen, da Wasserstoff derzeit meist aus Erdgas hergestellt wird. Das ist ökologisch somit sinnlos. Aus diesem Grund haben wir für diese Technologie ein Zukunftsszenario mit grünem, importiertem Wasserstoff mitbetrachtet. Hier können wir deutlich über die Hälfte der Emissionen einsparen. Bei einem Brennstoffzellenantrieb zeichnet sich aufgrund des Wasserstoffs als Energieträger die gleiche Tendenz ab, allerdings sieht man hier den besseren Wirkungsgrad dieser Technologie.
Der batterieelektrische Antrieb kann mit dem heutigen Strommix auch nicht zur Reduzierung der Emissionen beitragen. Deshalb haben wir auch hier eine weitere Berechnung durchgeführt, bei der wir 100 % grünen Strom angenommen haben. Dann kommt man auf eine CO2- Ersparnis von über 40 %. Hier sieht man deutlich, dass die Batterieherstellung einen sehr großen Anteil an den Emissionen hat.
Warum stoßen denn grüner Strom und grüner Wasserstoff noch Emissionen aus, wenn sie dem Namen nach grün sind?
Dr. Hamme: Hierbei wird leider der ganzheitliche Ansatz außer Acht gelassen. Wenn Sie heute ein Windrad errichten, dann wird beispielsweise das Fundament und der Turm zu großen Teilen aus Beton und Stahl hergestellt. Diese Rohstoffe können heute nicht – noch nicht – CO2-neutral hergestellt werden. Somit hat das Windrad bereits am ersten Tag einen CO2-Rucksack, der natürlich auf die Kilowattstunden im Laufe des Lebens umgeschrieben werden muss. Dieser Ansatz gilt auch für Solarzellen.
Zudem müssen Überlandleitungen und Umspannwerke betrachtet werden. So kommt am Ende auch hier etwas zusammen. Man muss sich leider von der Vorstellung lösen, dass das, was heute als „CO2-neutral“ oder „grün“ bezeichnet wird, auch absolut CO2-frei ist. Es ist in der Praxis wie mit alkoholfreiem Bier. Das enthält auch noch geringe Restmengen Alkohol. Vor diesem Hintergrund bin ich gespannt, wie die ersten Städte bis 2030 CO2-neutral werden wollen – denn lokale CO2-Neutralität bringt ökologisch nichts. Solange das Zementwerk das gleiche ist, aber nicht in der Stadt steht, hat die Umwelt nichts gewonnen.
Phillip Federle - Abteilungsleiter Kranfahrzeuge
Warum schneidet die Betankung mit HVO sogar besser ab als die Variante mit E-Fuels?
Federle: Das liegt sicher ein Stück weit an dem HVO, welches wir hier in Ehingen einsetzen. Für uns war von Anfang an klar, dass wir kein HVO aus Palmöl oder Palmölrückständen einsetzen. Deshalb kaufen wir bei Liebherr zertifiziertes HVO, das aus Abfällen hergestellt wird – im konkreten Fall aus Speiseölen. Dadurch, dass es sich um Abfälle handelt, gibt es bis zu diesem Zeitpunkt keinen CO2-Rucksack. Erst durch die Umwandlung zu Kraftstoff, durch Transport und Lagerung kommen Emissionen für unseren Kran hinzu. Würden wir hier extra Sonnenblumenöl anbauen, wäre das Einsparpotential ein wenig schlechter. Bei E-Fuels hingegen haben Sie vorher immer die Emissionen aus dem Bau des Windrads oder der Solaranlage, durch die dieser Kraftstoff etwas schlechter abschneidet.
Welche Hürden oder Grenzen gibt es bei HVO?
Dr. Hamme: Die entscheidende Grenze für diesen Kraftstoff ist sicher die begrenzte Verfügbarkeit. Die Menge an Abfällen ist natürlich limitiert, und so wird HVO aus unserer Sicht nie in der Menge hergestellt werden können, in der heute Diesel verbrannt wird. Sicher kann man hier durch Anpflanzen von Sonnenblumen oder Raps die Mengen etwas vergrößern, aber das darf nicht so weit gehen, dass wir vor lauter Umweltschutz gar den Regenwald abholzen, um Palmöl anzubauen! Diese Grenze wird in Politik und Gesellschaft sicher noch zu Diskussionen führen.
Einige Lkw-Hersteller setzen auf Wasserstoff-betriebene Brennstoffzellen-Antriebe und investieren Milliarden Euro in deren Entwicklung. Hohe Summen werden in den Ausbau der Produktion von grünem Wasserstoff investiert. Wie sehen Sie diese Technologie für Mobil- und Raupenkrane mittel- und langfristig?
Dr. Hamme: Selbstverständlich werden wir auch die Entwicklung im Bereich Wasserstoffmotoren und Brennstoffzellen bei allen Anwendungen, beispielsweise in Nutzfahrzeugen und Baumaschinen, genau betrachten. In unserem Motorenwerk in der Schweiz wird gerade der erste Prototyp eines Wasserstoffmotors am Prüfstand in Betrieb genommen. Dort haben wir die Wasserstoffkompetenz der Firmengruppe Liebherr angesiedelt. Ähnlich wie bei batterieelektrischen Antriebsvarianten im Schwerlastverkehr ist auch zum Thema Wasserstoff keine ausgereifte und applikationsfähige Technologie für Mobilkrane verfügbar.
Vergleich CO2 Emissionen verschiedener Antriebsformen (Beispiel LTM 1160-5.2) (VM=Verbrennungsmotor, BZ=Brennstoffzelle und Elektromotor, BEV=Batterie und Elektromotor, EE=Strom aus erneuerbaren Energien)
Federle: Brennstoffzellenantriebe sind für Mobilkrane mit ihren sehr ungleichförmigen Belastungen und hohen Lastkollektiven weniger geeignet. Wasserstoffmotoren können da eher interessant werden. Die Unklarheiten sind insgesamt noch so groß, dass heute keine realistischen Ziele definiert werden können. Ein Kernproblem ist auch hier die Energiespeicherung am Kran. Weder für gasförmigen Wasserstoff noch für stark heruntergekühlten, flüssigen Wasserstoff stehen im heutigen Krankonzept ausreichend Gewicht und Volumen zur Verfügung.
Dr. Hamme: Zur Speichertechnologie, zur Betankungslogistik und zur Versorgungsinfrastruktur sind viele Fragen offen. Es bleibt abzuwarten und zu beobachten, welche Entwicklungswege insbesondere bei Nutzfahrzeugen und Baumaschinen in näherer und ferner Zukunft eingeschlagen werden.
Sind die anderen Ansätze mit Wasserstoff und Batterien aus dieser ökologischen Sicht dann technische Fehlentwicklungen?
Dr. Hamme: Definitiv nein! Diese Technologien haben noch deutliches Entwicklungspotential, das heute nicht final abgeschätzt werden kann. Wir reden nur über eine Momentaufnahme zum heutigen Zeitpunkt. Zudem reden wir hier aktuell nur über einen Auszug aus der Studie, und die Aussagen gelten lediglich für den Mobilkran. Das gleiche Vorgehen hat bei einem Fahrmischer oder bei einem kleinen Radlader beispielsweise deutliche Vorteile für einen elektrischen Antrieb gezeigt.
Woher kommt dieser deutliche Unterschied bei gleicher Vorgehensweise?
Federle: Das liegt an der absolut unterschiedlichen Nutzung der Geräte. Für den Kran war uns wichtig, funktional identische Geräte zu vergleichen. Mit dem Gerät sollen ohne Abstriche die gleichen Arbeiten möglich sein wie mit dem heutigen Kran. Hierzu gehört auch die Flexibilität, autark zu arbeiten. Ein Fahrmischer dagegen kommt jeden Abend nach Hause und kann ausreichend geladen werden. Und auch während der Beladung mit Beton kann er zuverlässig Strom nachladen, da man hier eine entsprechende Lade-Infrastruktur voraussetzen kann.
Dr. Hamme: Zudem hat der Mischer im Vergleich zum Kran sehr begrenzte Streckenlängen und eine vergleichsweise geringe Leistung zu erbringen. Der Lastzyklus des Fahrmischers ist mit dem eines Krans nicht vergleichbar. Wenn man durch solche Randbedingungen die gespeicherte Energiemenge reduzieren kann, wird natürlich der Akku, der die Herstellemissionen massiv treibt, immer kleiner.
Hydrogenated Vegetable Oils: Die Tankstelle des Liebherr-Werks in Ehingen wurde auf HVO-Kraftstoff umgestellt.
Warum setzt Liebherr in Ehingen aktuell nicht auf Batterie-elektrische Antriebe? Hat diese Technologie mittelfristig Potential für Mobil- und Raupenkrane? Man liest von Entwicklungen, die die Kapazität von Batterien deutlich erhöhen und auch die Ladezeiten drastisch reduzieren können.
Dr. Hamme: Batterieelektrische Antriebe sind Stand heute für Mobilkrane, sowohl für All-Terrain wie auch Gittermastkrane, aufgrund einer Vielzahl von Aspekten keine mit hoher Priorität zu realisierende Antriebsoption. Hinsichtlich Klimaschutz und Wirtschaftlichkeit ist diese Technologie für unsere Art von Maschinen nicht die erste Wahl, mal davon abgesehen, dass technisch ausgereifte und nachhaltige Lösungen für unsere Krane derzeit nicht verfügbar sind.
Federle: Die Energiemenge in Lithium-Ionen-Batterien ist bezogen auf ihr Volumen und Gewicht sehr gering. Um die bewährte Flexibilität und Performance eines Mobilkrans mit einem batterieelektrischen Antrieb zu gewährleisten, müssten beispielsweise am von Frontier Economics untersuchten 5-achsigen LTM 1160-5.2 rund 20 Tonnen Batterien mit einem Volumen von mehr als 15 Kubikmetern eingebaut werden. Das ist völlig unrealistisch und zeigt, dass die heute verfügbare Technologie kein Potenzial für den universellen Einbau im vollelektrischen Mobil- und Raupenkran bietet.
Externe Batteriepakete zur kabelgebundenen Stromversorgung als Alternative zum Strom aus dem Netz sind auch für kleinere Mobilkrane denkbar. Vielleicht kann durch solche Puffer-Batterie-Speicher auch für größere Krane die Forderung nach „Local Zero Emission“ erfüllt werden.
Dr. Hamme: Weitere Randbedingungen wie Sicherheit, thermische Stabilität, Ladegeschwindigkeit, Ladelogistik, Lebensdauer und am Ende auch Wirtschaftlichkeit erleichtern den Einsatz von batterieelektrischen Antrieben in Mobilkranen nicht. Revolutionäre Weiterentwicklungen dieser Technologie, die die vorgenannten Kriterien essenziell verbessern, sind aktuell nicht in Sicht.
Die Weiterentwicklung von Batterieantrieben konzentriert sich eher auf die Massenanwendung in Pkw und unterliegt ganz anderen Anforderungen als für den Einsatz in großen und schweren Kranen. Selbstverständlich betrachten wir unter dem Ansatz „Technologieoffenheit“ die Entwicklung von batterieelektrischen Antrieben ganz genau. Die technologische Kompetenz dafür haben wir in der Firmengruppe Liebherr in einem „Battery Competence Center“ gebündelt. Somit ist sichergestellt, dass wir immer auf Ballhöhe sind und nichts verpassen.
Mobilbaukrane der MK-Baureihe können alternativ zum Verbrennungsmotor mit Baustellenstrom betrieben werden. Wäre die Technologie dahinter auch eine sinnvolle Alternative für Teleskop-Mobilkrane?
Federle: Es ist denkbar, diese Technologie als alternativen Antrieb auch für kleine Mobilkrane vorzusehen. Wie gesagt: alternativ. Das heißt, dass neben dem HVO-Dieselmotor für den Fahr- und den Kranbetrieb ein zusätzlicher Elektroantrieb für den Oberwagen eingebaut werden muss. Das kostet Volumen, Gewicht und Geld.
Dr. Hamme: Eine Reihe technischer, anwendungsbezogener und wirtschaftlicher Fragen sind für jede einzelne Applikation, jeden Krantyp zu stellen und zu beantworten. Ein Teleskopmobilkran, der mit Baustellenstrom versorgt wird, soll ja für diese Einsatzfälle vergleichbar zu dem Kran mit Verbrennungsmotor betrieben werden. Der Elektroantrieb muss so ausgelegt werden, dass mit Baustellenstrom die annähernd volle Leistung des Krans, die Geschwindigkeiten der Kranbewegungen und die Dynamik erhalten bleiben. Das wird mit zunehmender Krangröße natürlich schwieriger. Die Stärke der externen Stromquelle, beispielweise Baustellenstrom aus dem Netz, ist ja auch begrenzt. Für einzelne kleine Teleskopmobilkrantypen, bei denen die „Local Zero Emission“-Forderung auch aufgrund häufigen Arbeitens in geschlossenen Räumen eine Rolle spielt, ist ein solcher Ansatz durchaus denkbar.
In Nenzing hat Liebherr einen batterie-elektrisch angetriebenen 250-Tonnen-Raupenkran entwickelt. Ist diese Technologie auch auf die kleineren Raupenkrane aus Ehingen übertragbar?
Dr. Hamme: Die „kleineren“ Raupenkrane in Ehingen beginnen bei einer Nennlastkapazität von 500 Tonnen und sind als reine Schwerlastmontagekrane konzipiert. Sie sind im gesamten Lastspektrum also mindestens doppelt so stark und doppelt so schwer wie der elektrische 250-Tonner aus Nenzing. Für diese Krangrößen ist der batterie-elektrische Ansatz nicht linear skalierbar.
Der Ansatz unserer Kollegen aus Nenzing, einen Raupenkran, der ja auch ein mobiler Kran ist, mit einem ausschließlich elektrischen Antrieb anzubieten, ist sehr mutig und spannend. Das universelle Einsatzspektrum, die Nutzungsgewohnheiten, die Flexibilität und die Performance des elektrischen Krans im Vergleich zum bisherigen konventionellen Kran mit einem Dieselmotor ändern sich.
Die installierte Batteriekapazität des LR 1250.1 unplugged muss zur Bewältigung eines durchschnittlichen Arbeitstags mit einem Kabelanschluss kombiniert werden, außerdem muss am Einsatzort des Krans die erforderliche Lademöglichkeit für die Batterien vorhanden sein. Der Ansatz für die 250-Tonnen-Raupe ist aus heutiger Sicht auf die großen Schwerlastraupenkrane aus Ehingen unter allen relevanten Aspekten – und das sind viele – nicht sinnvoll übertragbar.
Federle: Das Betreiben unserer Krane mit modernster Abgasnachbehandlungstechnologie entsprechend Stufe 5 und die Nutzung von synthetischen Kraftstoffen ist zielführender und sofort in der Breite verfügbar. Das zeigen ja auch die vorher erläuterten Ergebnisse der Frontier Economics-Studie. Natürlich bleiben Restabgasemissionen des „sauberen“ Krans.
Ungefährer Volumenbedarf und Gewicht von Medium einschließlich Tank bei unterschiedlichen Antriebsformen am Beispiel des LTM 1160-5.2
Liebherr hat bereits verraten, dass es zur nächsten Bauma eine elektrisch angetriebene Variante eines kompakten Liebherr-Mobilkrans geben wird. Können Sie dazu schon mehr sagen?
Dr. Hamme: Wir haben geplant, den LTC 1050-3.1, unseren 3-achsigen Ein-Kabinen-Kompaktkran in der 50-Tonnen-Klasse, mit einem zusätzlichen, optionalen elektrischen Antrieb für alle Kranfunktionen im Laufe des Jahres auf den Markt zu bringen. Der Kran wird also wie bisher konventionell mit einem HVO-Diesel-Motor für das Fahren auf der Straße und das Arbeiten beim Kraneinsatz ausgestattet sein, kann aber alternativ für die Kranarbeit mit einem elektrischen Antrieb und damit „Local Zero Emission“- gerecht genutzt werden. Alle bisherigen Nutzungseigenschaften des Krans bleiben also erhalten, unabhängig davon, ob er mit dem abgasemissionsfreien Kranantrieb oder mit dem Verbrennungsmotor betrieben wird.
Der Strom für den Elektroantrieb kommt aus der lokalen Stromversorgung über einen Kabelanschluss. Um die volle Performance des Krans nutzen zu können, ist ein stromstarker 125 Ampere-Anschluss erforderlich. Bei 63 Ampere können sich die maximalen Arbeitsgeschwindigkeiten reduzieren.
Mit diesem Ansatz gewährleisten wir folgendes: Der hybride LTC 1050-3.1 kann weiterhin als flexibler „Weltkran“ an allen Einsatzorten wirtschaftlich genutzt werden. Kundennutzen, Einsatzpraxis und Wirtschaftlichkeit gehen mit globalem und lokalem Umweltschutz Hand in Hand.
Die Zukunft wird also noch viel Interessantes im Bereich nachhaltige Antriebe zur Reduzierung von CO2 bringen. Schauen wir aber in die Gegenwart. Was setzt Liebherr in Ehingen konkret um?
Federle: Seit September 2021 betanken wir unsere Mobil- und Raupenkrane im Liebherr-Werk in Ehingen ausschließlich mit reinem HVO. Das gilt für die Kranabnahme und Testfahrten sowie für die Erstbetankung vor Auslieferung. Wir haben die vergangenen Monate daran gearbeitet, die gesamte Mobil- und Raupenkranpalette für den Einsatz mit HVO vorzubereiten. Dazu wurden zunächst die eingebauten Dieselmotoren von den Herstellern geprüft, zertifiziert und freigegeben. Auch die Krane wurden mit reinem HVO umfangreich getestet und erprobt, bei Kunden und in unserer eigenen Versuchsabteilung.
Dr. Hamme: Am Standort Ehingen haben wir auch alle Fahrzeuge unseres Werksverkehrs analysiert. Nur mit wenigen Ausnahmen können diese ebenfalls mit HVOKraftstoff betankt werden. In der Summe werden wir mit der Umstellung auf HVO-Kraftstoff pro Jahr 2,5 Millionen Liter fossilen Diesel einsparen können. Das wird zu einer jährlichen Reduktion von rund 6.500 Tonnen CO2 bei uns im Werk führen.
Und noch etwas: Seit 1.1.2022 beziehen wir für unser Ehinger Werk ausschließlich grünen Strom. Wir versorgen also das komplette Werk mit zertifiziertem Strom aus der europäischen Windkraft. Das ist ein weiterer Meilenstein in Richtung CO2-Neutralität.
Was denken Sie zum Thema Antrieb, Alternativen und Klimaschutz? Wir sind gespannt auf Ihre Meinung und freuen uns auf Ihre E-Mail an [email protected]. Vielleicht können wir Ihre Frage oder Meinung ja gleich für einen Beitrag im nächsten Magazin verwenden. Kommen wir ins Gespräch!
3 Fragen an: Matt Waddingham - Geschäftsführer Cadman Cranes Ltd, UK
Als einer der ersten Kranverleiher haben Sie im Juli 2021 angekündigt, künftig HVO für ihre Mobilkranflotte zu nutzen. Warum haben Sie diesen Schritt gemacht?
Waddingham: Wir haben in den letzten Jahren unseren Einfluss auf die Umwelt analysiert. Uns war bewusst, dass unser CO2-Ausstoß durch die fossilen Brennstoffe auf lange Sicht untragbar ist. Auch wenn wir unsere Krane regelmäßig austauschen und durch Neukrane mit großen Fortschritten in der Krantechnologie und Effizienz ersetzen, sind wir immer noch Kranverleiher – und bewegen hunderte Tonnen Metall über tausende Kilometer pro Jahr. Wir wissen, dass Elektrokrane mit Batterien in naher Zukunft keine Option sind. Deshalb schauten wir uns selber nach Alternativen um. Anfang 2021 wurden wir auf HVO aufmerksam, die CO2-Einsparungen sahen dabei unfassbar aus. Nach mehreren Monaten voller Diskussionen mit Kran- und Maschinenherstellern und einer ganzen Serie von juristischen Verhandlungen fanden wir keinen Grund, diesen Schritt nicht zu gehen.
Matt Waddingham - Geschäftsführer Cadman Cranes Ltd, UK
Uns ist klar: Wer Neuland betritt, der geht immer ein Risiko ein. Es wird Personen und Verbände geben, die unseren Fortschritt genau beobachten, bevor sie Genehmigungen erteilen. Aber wir wollen einen Weg aufzeigen und hoffen, mit unserem Schritt ein Katalysator für die ganze Branche zu sein, hin zu mehr Klimaschutz und nachhaltigerem Kranbetrieb. Und wir haben bereits viele Kunden und Projekte, die diesen Schritt voll und ganz unterstützen. Denn wir alle wissen: Es muss und wird auch in der Kranindustrie große Veränderungen hin zu mehr Klimaschutz geben – ob selbstbestimmt oder durch die Gesetzgebung. Aus unserer Sicht startet man da am besten von der Spitze weg – und das tun wir.
Sie nutzen HVO nun seit rund sechs Monaten. Wie sind Ihre Erfahrungen und wie reagieren ihre Kunden darauf?
Waddingham: Unsere Erfahrungen bis heute sind total positiv. Wir haben keine negativen Effekte an unseren Kranen selbst festgestellt. Unsere Kunden waren sehr positiv und gehen mit uns häufig ins Gespräch, um HVO, dessen Wirkung und Rohstoffe besser zu verstehen. HVO ist in der Beschaffung etwas teurer als fossiler Diesel, aber wir merken, dass die CO2-Einsparungen diese Extrakosten mehr als nur ausgleichen. Meine einzige Sorge ist die Wiederbeschaffung am Markt. Wir hatten bisher keine Probleme, HVO zu uns zu bringen. Aber das Angebot an allen Brennstoffen ist derzeit in Großbritannien ein großes Problem, das Thema dürfte aus den Medien bekannt sein. Noch wird in UK selbst kein HVO produziert, das heißt wir sind bisher Importeur. Wenn nun die Nachfrage deutlich steigt, wird es spannend werden: Gibt es ausreichend HVO? Bekommen wir dies auf unsere Insel geliefert? Für uns ist dabei klar: Jetzt, wo wir den Schritt gegangen sind, möchten wir sicherlich nicht umkehren.
Cadman Cranes
Cadman Cranes ist einer der führenden Kranvermieter in East Anglia (Region östlich von London), Großbritannien, mit einer über 50-jährigen Geschichte im Kranverleih. Seit Beginn legt das Unternehmen großen Wert darauf, mehr als eine Kranvermietung zu sein. Qualität, Zuverlässigkeit und Sicherheit sind dabei die Grundwerte des Unternehmens, die immer an Kunden und Mitarbeitenden ausgerichtet sind. So werden Full-Service-Lösungen angeboten, die deutlich über die reine Kranvermietung hinausgehen. Seit 2019 ist Matt Waddingham Geschäftsführer der Cadman Cranes Ltd.
HVO ist der Anfang in Richtung CO2-Neutralität. Welche weiteren Schritte haben Sie bereits unternommen oder erarbeiten Sie gerade?
Waddingham: Wir prüfen fortlaufend alle Prozesse in unserem Unternehmen und haben ein starkes Verständnis über unseren CO2-Fußabdruck entwickelt. Nun haben wir mit einem Schritt über 70 % des Kohlenstoff-Ausstoßes bei unseren Mobilkranen reduziert, diesem galt unsere volle Konzentration bislang. Das ist schon ein riesiger Meilenstein! Wir sind mit Cadman Cranes Teil der Milbank Group – eine diverse Gruppe von Firmen mit Anteilen in der Agrikultur, im Baubereich, in der IT-Branche und dem Einzelhandel – und unsere Gruppe hat sich das Ziel gesetzt, erfolgreich zu sein mit einem positiven Einfluss auf unsere Gesellschaft. Wir stellen nun einen Experten für Nachhaltigkeit ein und freuen uns darauf, mit vielen Fachleuten in diesem Bereich zusammenzuarbeiten. Wir wollen hier richtig durchstarten auf unserem Weg zur CO2-Neutralität. Aber uns ist klar, dass wir alleine oder mit einigen wenigen Unternehmen zusammen nicht ausreichend sein werden. Es braucht genauso unsere Kunden und unsere Lieferkette. Daher freuen wir uns sehr, dass Liebherr den gleichen Schritt geht und hier ein großer Zusammenhalt in eine gemeinsame Stoßrichtung besteht. Es liegen offensichtlich herausfordernde Jahre vor uns. Für mich ist es aber auch spannend zu sehen, welche Innovationen und welchen Einfallsreichtum unsere Branche hier hervorbringt, um diese Herausforderungen auch für unsere Kinder und Enkelkinder zu meistern.
Dieser Artikel erschien im UpLoad Magazin 01 | 2022.