Mobil- und Raupenkrane

11 Minuten | Magazin 01/2022

Eine Ode an den Kran

Was machen Liebherr-Kunden und -Mitarbeiter eigentlich in ihrer Freizeit? Zum Teil kransinnig schöne Dinge. Einen LR 1750 aus Holz bauen beispielsweise.

Leben für den Kran

Oder über 1.000 Sammlerstücke im Dachgeschoss hegen und pflegen. All das ist kein Modell-Versuch, sondern eine Leidenschaft, die mit Professionalität und Präzision daherkommt. Kommen Sie mit hinter die Kulissen bei Torsten Schwarz und Oliver Thum!

Torsten Schwarz, Spezialist für Ersatzteile und Holzbau

Als der Anruf der Redakteurin eingeht, ist Torsten Schwarz gerade im Ehinger Ersatzteillager unterwegs. Als Schichtführer Leitstand hat er die über 100.000 Teile, die Liebherr Kunden für ihre Mobil- und Raupenkrane brauchen, unter sich. „Jedes davon hatte ich irgendwann schon einmal in der Hand. Nach 26 Jahren weiß ich genau, wie die Produkte aussehen und wo sie verbaut werden.“ Und, so könnte man hinzufügen, Torsten Schwarz kann all diese Teile aus nächster Nähe betrachten, je nach Gewicht auch drehen und wenden.

Bei manchen hat er das auch gemacht, um für sein 2018 initiiertes Projekt ein absolutes Abbild der Realität zu schaffen. Im Frühjahr erfolgte damals der erste Schritt an einem der 7.805 Einzelteile, die dreieinhalb Jahre später den LR 1750 formen würden.

785 Stunden - 7.805 Teile

Seine Werkstatt wurde ihm in der Zeit zum Wohnzimmer. „Wenn drei Monate der Fernseher nicht läuft, dann ist das kein Problem. Aber meine Stichsäge? Muss laufen!“ sagt der gelernte Kunststoff Mechaniker und lacht. Er ist, das merkt man schnell, ein Mann der Tat und Fröhlichkeit. 785 Arbeitsstunden hat ihn das Holz-Modell gekostet. Gebracht hat es ihm sehr viele Erkenntnisse, einen wahrgewordenen Traum – und das Tüfteln am Rand der Verzweiflung. „Im Frühjahr war ich zu Tode betrübt und nah dran, das Modell in meiner Feuerschale zu verbrennen. Räder können Sie aus Holz recht gut zimmern, aber Raupenfahrwerk und Ketten? Schier unmöglich!“ Vier Versuche gingen schief, Gummizüge waren vom UV-Licht gebrochen, das Drahtseil ließ sich nicht spannen. Beim fünften Anlauf hat es dann geklappt. „Und dann kommt ganz große Euphorie!“ Beeindruckend ist das, wenn Torsten Schwarz erzählt, wie er, der bereits andere Fahrzeuge gefertigt hat, die Grenzen ausgetestet, immer feiner und genauer konstruiert hat.

Herausforderungen? Werden gemeistert!

Womit schon die größte Herausforderung dieses Projekts genannt ist: Konstruieren. Ein Kran aus Holz, das ist einmalig. „Der Unterschied zwischen Stahl und Holz ist einfach: An einen Ausleger aus Stahl lassen sich viele Tonnen hängen. Aus Holz jedoch etwas Tragfähiges zu bauen, das ist schwer!“ Zumal ja alles im Maßstab bleiben muss. Torsten Schwarz hat 1:20 gewählt. Damit müssen Teile, die im echten Kranleben 4 cm groß sind, bei ihm mit 2 mm auskommen. Die Teile stammen von Kiefer und Buche, manches ist aus Eiche. „Buche ist hart, Kiefer weich. Dadurch lässt sich die Kiefer schön feilen und schleifen, ist aber weniger stabil!“ Herausgekommen ist nun ein originalgetreuer Nachbau mit einer Grundfläche von 60 auf 60 cm, 220 cm hoch, ein 100 kg schweres Podest, ein 8 kg schwerer Kran. Auf genau diesen Krantyp, den 700 Tonnen schweren LR 1750 mit 42 m langem Ausleger, kam Schwarz übrigens durch einen Zufall: „So einer stand damals gerade bei uns. Dadurch konnte ich auch die Details unter die Lupe nehmen und fotografieren, die man unseren Konstruktionsplänen niemals entnehmen könnte.“

Beim Nachbau realisiert man, dass sich unsere Konstrukteure mit jedem Detail etwas gedacht haben!

Torsten Schwarz, Spezialist für Ersatzteile und Holzbau

Mitdenkendes Umfeld

Hilfreich waren bei besonders kniffligen Fragen auch seine Gespräche mit den Kollegen im Schulungszentrum. „Mit welchen Gradzahlen werden die Winkel der Gitter aufgestellt? Wie ist die Reihenfolge der Scherung über die entsprechenden Seilrollen? Welcher Lastfall passt zu dieser Krankonfiguration?“ Manches Konstrukt, so Schwarz, verstehe er heute besser. „Beim Nachbau realisiert man, dass sich unsere Konstrukteure mit jedem Detail etwas gedacht haben!“ Genau diese Kollegen sind es wohl, die nun anerkennend in die Vitrine am Meeting Point im Schulungszentrum schauen.

Diesem Platz hat der Kran-Liebhaber Schwarz sein Prachtstück gerne geliehen. „Er ist prädestiniert, weil ihn dort Menschen sehen, die derlei Maschinen bedienen und verstehen. Ehrlich gesagt bin ich auch froh, in meiner Werkstatt wieder Platz zu haben!“ Der Umzug ins „Mutterhaus“ war unproblematisch, kann der Kran doch wie sein Original in Einzelteile zerlegt und transportiert werden. Selbstredend sind die Ketten beweglich, der Ausleger lässt sich heben, senken und schwenken.

Und nun? Ist erst mal Winter, die Werkstatt ist kalt, der Fernseher funktioniert. Eine Frühjahrsmüdigkeit ist bei ihm aber ausgeschlossen: „Auch beim nächsten spannenden Projekt werde ich manchmal schon morgens um halb vier in der Werkstatt sein. Ich habe dann einen richtigen Run und kann nicht aufhören!“

Oliver Thum, Kranexperte und Modellsammler

Aufhören? Keine Option!

Aufhören kann, aufhören will auch Oliver Thum nicht. Weder beruflich, wo er Österreichs Kran- und Bauszene mitgestaltet, noch als Sammler. Der gelernte Kranbauer verantwortet den Technischen Außendienst bei Prangl in Tirol und koordiniert für den namhaften Verleiher von Kranen und Hubarbeitsbühnen interessante Baustellen. Während seiner Laufbahn hat er so manchem Kran-Prototypen bei der Entwicklung auf die Sprünge geholfen. „Als 25-Jähriger habe ich bei Schmidbauer in München Liebherrs damals größten Teleskop-Kran fahren dürfen. Bei diesem 800-Tonner saß man am unteren Ende des maximal 150 m hohen Fahrzeugs, hat riesige Lasten durch die Gegend gehoben und Nerven wie Stahlseile gebraucht.“ Fast 20 Jahre lang war er auf den größten Baustellen Europas beschäftigt. Auch am unterirdischen Bau des CERN in Genf war er beteiligt: Beim weltweit größten Teilchenbeschleuniger hat er als einer von zwei Kranfahrern 350 Tonnen schwere Teile in 50 m Tiefe versenkt.

Ein Leben mit dem Kran

Mit seiner Ausbildung zum Kranbauer und -fahrer wanderte Oliver Thum weiter auf dem Weg, den er schon in der Kindheit begonnen hat. Damals begleitete er seinen Vater, Inhaber einer Kranfirma, zu vielen Baustellen wie z. B. dem Bau der Brenner-Autobahn. „Manchmal fuhr ich nachts mit dem Taxi zurück, weil mein Vater noch bleiben musste.“ Im Gespräch mit dem bald 60-Jährigen wird durch seine klare Stimme und seine präzisen Schilderungen schnell klar: Ein Leben voller Baustellen muss wunderbar, herausfordernd, lehrreich und begeisternd sein. Und endet nicht am Dachboden. Diesen ist er drauf und dran, zu sprengen. Mit Modellkranen. Kranmodellen. Seit seinem ersten, den er vom Vater zum 2. Geburtstag geschenkt bekam, sind weit über 1.000 hinzugekommen. „Auf meinen verdunkelten 80 qm finden Sie alle Typen und Größen, dazu ein paar Baumaschinen und einige Schwertransporte. Es sind Werbemodelle in Original-Lackierung, die man direkt beim Kranverleiher oder bei Modellbauern bekommt.“ Mit Glück, oder mit Beziehungen – zum Kran. So hat er den einst mitentwickelten Teleskop-Kran zu dessen 30-jährigem Jubiläum vom taiwanesischen Modellbauer YCC in originaler Schmidbauer-Lackierung geschenkt bekommen. „Es ist die Nummer 1 von 200. Mit Zertifikatsnummer!“ Oliver Thums Stolz ist spürbar, durchs Telefon. Der Stolz ist von Leidenschaft getrieben, und aus dieser heraus öffnet er immer gerne seine Türen in seinem Heimatort Rum bei Innsbruck. „Kommen Sie mal vorbei, wenn Sie in der Nähe sind!“ Gefolgt sind dieser Einladung schon viele. Neben Bekannten und Kunden auch sämtliche namhafte Modellhersteller wie Conrad, YCC und WSI. „Auch Liebherr-Mitarbeiter waren schon auf Besuch am Dachboden!“

1977 und heute – das sind Welten. Die Ausleger-Länge betrug 55 m, 100 m wie heute waren unvorstellbar!

Oliver Thum, Kranexperte und Modellsammler

Zu Liebherr, mit Liebherr

Zu Liebherr in Ehingen kam der gebürtige Tiroler als Lehrling im Deutschen Herbst des Jahres 1977, geprägt durch Terroranschläge der RAF. Gerade mal 15, alleine mit dem Zug unterwegs, in jedem Bahnhof ein Steckbrief. „Ich habe Maschinenschlosser gelernt, war gleich voll involviert und habe nach der Lehrzeit noch zwei Jahre in der ReparaturAbteilung mitgearbeitet.“ Zwischen damals und jetzt liegen mehr als ein halbes Leben und viele Generationen von Kranen. Wenn Thum davon erzählt, klingt das mehr nach Revo- statt nach Evolution. „1977 und heute – das sind Welten. Damals war der 110-Tonner Liebherrs größter Teleskop-Kran mit 45 m Ausleger-Länge, und 800 oder gar 1.200 Tonnen Tragkraft waren für einen Teleskop-Kran überhaupt nicht absehbar. Phänomenal war dann, als 1980 eine Tragkraft von erst 160, dann 200 Tonnen möglich wurden. Die Ausleger-Länge betrug 55 m, 100 m wie heute waren unvorstellbar!“

Die Lackierung von Modellen in Hausfarben war dagegen schon damals üblich. Weil es viele Modelle nicht in Original-Lackierung gibt, wird Oliver Thum im Dachgeschoss regelmäßig wieder zum Kranbauer. „Das Standard-Modell in Gelb zerlege ich, baue es um, verfeinere, beize ab und lackiere.“ Natürlich nicht ungefähr, sondern kransinnig genau. „Sammler verwenden nur die Original-RAL-Farbe, und auch die Beschriftung wird im genauen Maßstab hergestellt und aufgeklebt.“

Über 1.000 Modelle 80 m² Fläche

Unter Kranfahrern bestens bekannt: Enge Platzverhältnisse

Er, der früher viel mit Lego gebaut hat, kontrolliert bis heute seine unzähligen Lieblingsstücke auf Beweglichkeit. Der Platz wird dabei immer geringer, obwohl sein Umfeld ihm bisher wohlwollend gegenübersteht. Das könnte sich ändern, wenn er nach Auszug seiner Tochter einen Blick auf deren Zimmer als Erweiterung werfen würde. „Da wäre dann echt Überzeugungs-Arbeit bei meiner Frau nötig!“ sagt der Kran-Fan und lacht.

Bis dahin aber wird er weiter sammeln, lackieren und zum jährlichen Szene-Treff in den Niederlanden fahren. Dort begegnen sich die passionierten Sammler aus allen Teilen der Welt, tauschen Modelle, zeigen Selbstgebautes. Gut für Thum: Selbst, wenn gerade mal kein Modell in Sicht oder der Dachboden zu heiß ist, kann er Hand anlegen. Gerade noch hat er mal wieder einen Kran manövriert, und während des Telefonats nähert er sich seinem aktuellen Projekt, einer Großbaustelle bei Salzburg. Kurz vor Ankunft teilt Thum dann noch ein Stück rosarote Kran-Romantik: Der große norddeutsche Kranverleiher Franz Bracht, dessen Inhaber Dirk Bracht selbst Sammler von Modell- und original Oldtimer-Kranen ist, habe seiner Tochter zur Geburt einen rosaroten Kran im Original geschenkt. So ein rosaroter ist – wie könnte es anders sein – auch in Thums Vitrinen zu finden. Nur der blaue, den Bracht seinem Zweitgeborenen schenkte, der offensichtlich noch nicht. Kran noch kommen!

Dieser Artikel erschien im UpLoad Magazin 01 | 2022.

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