Mobil- und Raupenkrane

14 Minuten | Magazin 02/2021

Die Möglichmacher

Seit rund eineinhalb Jahren hat die Corona-Pandemie unser tägliches Leben fest im Griff. Je nach Land unterschiedlich stark und in einzelnen Wellen. Trotzdem konnten im Jahr 2020 rund 2.000 Mobil- und Raupenkrane unsere Kranproduktion in Ehingen verlassen, weltweit ausgeliefert und übergeben werden. Wenn auch manchmal mit Hindernissen oder auf Umwegen.

Denn auch der Service vor Ort und viele unserer Schulungen waren plötzlich anders. Aber: Wir konnten beinahe alles aufrecht halten. Dank einem offenen Ohr für neue Wege, kreativer Ideen, hoher Eigenmotivation unserer Mitarbeitenden und dem engen Austausch mit Ihnen – unseren Kunden und Partnern. Höchste Zeit, mit einigen der Ehinger „Möglichmacher“ ins Gespräch zu kommen: Stefan Dambacher (Leiter Einkauf), Giulio de Fiore (Leiter Logistik), Benjamin Buchmüller (Leiter Versand), Stephan Höchstädter (Leiter Customer Service) und Christoph Behmüller (Leiter Schulung). Gemeinsam geben sie einen Einblick in diese herausfordernde Situation.

Stefan Dambacher (Leiter Einkauf)

In Deutschland konnten wir bislang die Pandemie in drei Wellen gliedern: Frühjahr 2020, Herbst/Winter 2020 und Frühjahr 2021. Bis auf wenige Tage in der ersten Welle verlief die Produktion im Ehinger Werk trotzdem reibungslos. Wie konnte dies sichergestellt werden?

Dambacher: Wir haben früh festgestellt, dass es große regionale Unterschiede in der Ausprägung, aber auch im Umgang mit der Pandemie gibt. Vom kompletten Lockdown mit geschlossener Industrie bis zu lediglich kleineren Einschränkungen des Grenzverkehrs. Daher war und ist die Herausforderung für uns, alle Artikel für Produktion und Service rechtzeitig nach Ehingen zu holen – nur dann können wir Krane daraus bauen. Dabei müssen wir immer die gesamte Lieferkette für jedes Bauteil, egal ob groß oder klein, genau beobachten. Sobald es hier Anzeichen von Störungen gibt, müssen wir reagieren. Unsere langjährigen und partnerschaftlichen Beziehungen mit unseren Lieferanten helfen uns da sehr. Gemeinsam konnten wir so bislang jeden Lieferengpass vermeiden.

De Fiore: Bei uns in der Logistik herrschte anfangs natürlich Chaos. Zumindest, was den Umgang mit der Situation anbelangte. Aber wir haben zügig Sicherheit für die Mitarbeitenden in der Logistik geschaffen: Hygieneregeln wurden implementiert und Masken, Desinfektionsmittel und Handschuhe eingesetzt. Auch wenn diese kurzfristig über Plattformen wie Ebay besorgt werden mussten – die Sicherheit ging vor. Lkw wurden und werden nur abgefertigt, wenn der Fahrer Abstand hält und einen Mund-NasenSchutz trägt. Unter Einhaltung dieser Maßnahmen war egal, aus welchem Land die Fracht kam, da alle unter den gleichen Voraussetzungen in Empfang genommen wurden.

Giulio de Fiore (Leiter Logistik)

Viele Länder schlossen vorübergehend die Grenzen, auch innerhalb der EU und im Schengen-Raum. Was bedeuten geschlossene Grenzen für den Warenverkehr ins Werk?

De Fiore: Wir haben schnell gemerkt, dass das ganze System noch volatiler wurde. Die verlorene Zeit auf der Straße sorgte für geballte Ankünfte bei uns im Haus. Die Kommissionierzeiten, also die Zeit der Ankunft bei uns bis zum tatsächlichen Bedarf des Artikels in der Produktion oder dem Ersatzteilversand, wurden dadurch erheblich verkürzt. Das führte zu mehr Hektik und Stress unserer Mitarbeiter. Außerdem häuften sich gerade zum Ende der Spätschicht hin die Sonderentladungen.

Dambacher: Normalerweise sind die Warenströme sehr genau getaktet. Aufgrund von Grenzschließungen oder Testpflichten für Lkw-Fahrer haben sich die Transportzeiten teilweise deutlich erhöht. Wir haben daher wo immer möglich mehrere Tage Puffer für Artikel aus den betroffenen Regionen eingebaut. Dies sorgte dann aber bei uns im Haus für geänderte Abläufe und die angesprochenen geballten Ankünfte.

Behmüller: Auch für unsere Schulungen und Trainings war und ist es eine Herausforderung. Unsere Krankunden, aber auch unsere weltweiten Monteure konnten und können nicht mehr wie früher in unser Ehinger Schulungszentrum kommen. Für uns als Weltmarktführer ist es selbstverständlich, ihnen auch in aktuellen Herausforderungen zur Seite zu stehen und weiterhin ein breites Angebot an Schulungen zu bieten.

Christoph Behmüller (Leiter Schulung)

So haben wir schnell eine Vielzahl von digitalen Antworten auf das altbekannte Präsenztraining vorbereitet und ein Großteil davon war bereits ab April 2020 verfügbar. Durch neue, digitale Maßnahmen konnten wir auch weiterhin ein breites Spektrum an Präsenzschulungen, Live-OnlineTrainings und E-Learnings anbieten. Darüber hinaus gehen wir neue Wege mit Live-Streaming und kombinieren bewährte Präsenztrainings mit digitalen Teilnahmemöglichkeiten. So können wir für jeden auf der Welt das richtige Modell anbieten. Natürlich immer unter Berücksichtigung der jeweils technischen Möglichkeiten. Durch Video-Tutorials für alle Neuentwicklungen erreichen wir unsere Monteure weltweit rechzeitig, schnell und zuverlässig mit den wesentlichen Änderungen und Neuerungen unserer Produkte. Viele kurze Themen sind als sogenannte „Live-Online-Trainings“ dauerhaft in unserer Mediathek verfügbar. Doch auch Präsenztrainings für unsere Kunden wurden mit einem durchdachten Konzept weiterhin ermöglicht, unter anderem durch die Buchung größerer Räumlichkeiten hier in der Region und auch den mittlerweile verfügbaren Schnelltests.

Gemeinsam mit unseren Logistikpartnern, den Landesgesellschaften und der Unterstützung unserer Kunden haben wir auch in den schwierigsten Fällen gemeinsam alternative Lieferwege gefunden.

Benjamin Buchmüller (Leiter Versand)

Wie konnten trotz dieser Beschränkungen im Warenverkehr Kranauslieferungen durchgeführt werden?

Buchmüller: Im Export nach Übersee waren wir durch die Pandemie glücklicherweise nur geringfügig eingeschränkt. Verschiffungen aus Europa in die ganze Welt waren durchgängig möglich, teilweise jedoch in reduzierter Anzahl und mit längeren Laufzeiten als üblich. Das haben wir aber in Abstimmung mit den Speditionspartnern einkalkuliert. Die größere Herausforderung waren sicherlich unsere Kranüberführungen auf eigener Achse innerhalb Europas und hier im Besonderen die fehlenden Übernachtungsund Rückreisemöglichkeiten für unsere Fahrer. In vielen Ländern waren die Hotels geschlossen und die Zug- und Flugverbindungen zurück nach Deutschland sehr eingeschränkt oder zum Teil nicht vorhanden. Hinzu kamen die unterschiedlichen und sich teilweise täglich ändernden Einreiseregelungen der einzelnen Länder. Im ersten Jahr der Pandemie waren wir allein in Europa in 29 Ländern auf eigener Achse unterwegs. Gemeinsam mit unseren Logistikpartnern, den Landesgesellschaften und der Unterstützung unserer Kunden haben wir auch in den schwierigsten Fällen gemeinsam alternative Lieferwege gefunden. So haben wir beispielsweise Geräte per Spezialtieflader transportiert, wo immer möglich Verschiffungsmöglichkeiten genutzt oder auch Krane an Landesgrenzen übergeben, um nicht von Quarantänemaßnahmen bei der Einreise betroffen zu sein.

Stephan Höchstädter (Leiter Customer Service)

Geschlossene Grenzen, trotzdem sichere Ersatzteilversorgung und zuverlässige Kranreparatur durch Experten aus Ehingen. Wie konnte und kann das sichergestellt werden?

Höchstädter: Wir haben bereits lange vor Beginn und völlig unabhängig von der Pandemie die Entscheidung getroffen, durch ein eigenes weltweites Servicenetzwerk mit maximaler Kompetenz möglichst nah an unseren Kunden zu sein. Der Aufbau dieser lokalen Kompetenz erforderte viele Jahre harter Arbeit und ist nie final abgeschlossen. Die lokale Teilebevorratung wird permanent optimiert, ausfallkritische Teile werden möglichst vor Ort vorgehalten. So konnten wir erreichen, dass deutlich über 90 Prozent aller Servicefälle lokal behoben werden – auch in Pandemie-Zeiten.

Benjamin Buchmüller (Leiter Versand)

Buchmüller: Grundsätzlich kann man sagen, dass der Lkw-Warenverkehr innerhalb Europas während der ganzen Pandemie mehr oder weniger gut funktioniert hat. Glücklicherweise waren die Grenzen für Lkw nie komplett geschlossen. Teilweise kam es an den Grenzübergängen aber zu längeren Staus. Die Schwierigkeiten für die Ersatzteilversorgung im Zuge der Pandemie liegen daher eher in anderen Bereichen, etwa dem Einbruch des Passagierflugverkehrs. Vor der Pandemie wurden bis zu 50 Prozent der weltweiten Luftfracht im Frachtraum von Passagiermaschinen als sogenannte „Belly-Fracht“ geflogen. Diese Kapazitäten fehlten mit Beginn der Pandemie schlagartig. Dies brachte neben einer Preisexplosion zum Teil auch erhebliche Verzögerungen mit sich.

Im Verlauf des letzten Jahres hat sich diese Situation auf schwierigem Niveau zumindest stabilisiert. Weiterhin hat der durch die Pandemie beschleunigte Trend zum OnlineHandel bei den auch für unsere Ersatzteillieferungen wichtigen Paket-, Kurier- und Expressdiensten zu Kapazitätsengpässen geführt. Dieser Trend wird sich meines Erachtens nach auch beim Abflauen der Pandemie fortsetzen und dauerhaft neue und kreative Lösungen für eine optimale Ersatzteillogistik erfordern.

In diesem Sinne nutzen wir „Remote-Support“ bereits seit Jahrzehnten. Remote zu beraten sowie bei Diagnose und Einstellungen am Kran online zu unterstützen sind für uns Schlüsseltechnologien, die wir weltweit anbieten und stets up to date halten.

Stephan Höchstädter (Leiter Customer Service)

90 Prozent der Servicefälle werden durch die auf der ganzen Welt verteilten, lokalen Liebherr-Niederlassungen gelöst. War das für Sie – kombiniert mit RemoteServices – ein Schlüssel zum erfolgreichen Meistern der Krise?

Höchstädter: Einfache Antwort: ja. Auch bei diesem Thema wurden die Weichen bereits lange vor den Reisebeschränkungen gestellt. Wir investieren permanent in die Qualität unseres engmaschigen Netzwerks eigener Serviceniederlassungen und darüber hinaus in wenige hochqualifizierte Servicepartner. Unsere Kunden schätzen es, dass viele technische Probleme durch unsere Servicespezialisten bereits am Telefon gelöst werden. In diesem Sinne nutzen wir „Remote-Support“ bereits seit Jahrzehnten. Wenn der Einsatz eines Servicetechnikers notwendig wird, profitieren wir von kurzen und regionalen Anfahrtswegen. Eine Überschreitung von Landesgrenzen ist für eine Vielzahl der Einsätze nicht notwendig. Das hilft, Servicekosten für den Kunden gering zu halten und in der Pandemie unseren Service in der gewohnten Qualität zu liefern.

Darüber hinaus bieten unsere Krane umfangreiche Ferndiagnosemöglichkeiten, die im Neukran zur Serienausstattung gehören. Für Krane, die bereits seit Jahren im Fuhrpark unserer Kunden sind, bieten wir preiswerte Nachrüstungen an. Remote zu beraten sowie bei Diagnose und Einstellungen am Kran online zu unterstützen sind für uns Schlüsseltechnologien, die wir weltweit anbieten und stets up to date halten. Unsere digitalen Services bieten Mehrwert und geben unseren Kunden gerade in diesen Zeiten, bei schwierigen und zeitkritischen Jobs, eine zusätzliche Sicherheit im Einsatz.

Liveübertragung: Der LICCON2-Screen wird live übertragen, sodass mehrere Personen zuschauen können.

Wie dürfen wir uns die Arbeit der Kranexperten für den Notdienst in so einer Situation vorstellen?

Höchstädter: Alle unsere Einsatzleiter sind echte Kranexperten und profitieren in der Regel von einer jahrelangen Berufserfahrung als Monteur. Sie können sich in die Situation am Kran mit geschlossenen Augen „reindenken“, die richtigen Fragen stellen, oft bereits die Antwort auf das technische Problem liefern und so unmittelbar unterstützen. Videotelefonie und bereits angesprochene Ferndiagnosesoftware gehören in unseren digitalen Werkzeugkasten. Wenn der Einsatzleiter entscheidet, einen Servicetechniker an den Kran zu schicken, wird grundsätzlich versucht, vorab möglichst viel zu klären. Welche Ersatzteile werden gebraucht? Was muss der Techniker wissen? Alle Zahnräder müssen ineinandergreifen: Einkauf, Ersatzteil-Bevorratung, Logistik, Versand. Letztlich geht es darum, den Kran schnellstmöglich wieder in den Einsatz zu bringen. Auch während der Pandemie, trotz Reisebeschränkungen, konnten wir unter anderem dank eigener PCR-Anlagen für Corona-Tests diesen Service größtenteils aufrechterhalten.

Was lernen wir aus dieser Pandemie aus Ihrer Sicht?

Buchmüller: Die Pandemie hat uns gezeigt, wie wichtig die Diversifikation von Transport- und Logistiklösungen ist. Hierauf werden wir in Zukunft noch mehr Wert legen, immer einen „Plan B“ haben. Ich persönlich hoffe auch, dass die gestiegene Anerkennung der Transport- und Logistikbranche in der Öffentlichkeit nachhaltig wirkt, ähnlich wie im Gesundheitssektor. Hier haben wir als Gesellschaft in den kommenden Jahren einige Herausforderungen zu bewältigen, angefangen beim Lkw-Fahrermangel und der Notwendigkeit, diesen Beruf wieder attraktiver zu machen, bis zur Weiterentwicklung der Infrastruktur.

Dambacher: Seit rund eineinhalb Jahren haben wir einen Ausnahmezustand – und trotzdem funktioniert unsere Lieferkette. Dies ist der Lohn für langjährige und faire Partnerschaften mit unseren Lieferanten. Ich freue mich heute schon auf die vielen persönlichen Gespräche, bei denen wir miteinander über die weitere Zusammenarbeit und das gemeinsame Wachstum sprechen werden. Hier sehe ich für uns alle noch Verbesserungspotenzial.

De Fiore: Es ist wichtig, dass die Führungskräfte in so einer Situation einen kühlen Kopf bewahren, um den Erwartungshaltungen der Mitarbeiter und dem Signal „Ich bin für Euch da!“ gerecht zu werden. Not macht erfinderisch und zwingt zum Fortschritt! Leider lernen wir auch, dass soziale Kontakte extrem unter Maßnahmen wie der Kontaktbeschränkung leiden. Bei uns arbeiten Menschen mit Wurzeln aus 20 Nationen. Eine Pandemie hält nicht davon ab, die eigene Familie im Ausland über die Ferien zu besuchen. Auch damit muss man umgehen können. Und wir haben auch viel entwickelt: Ich weiß nicht, ob wir ohne Corona mit den digitalen Medien so weit wären, wie wir es jetzt sind.

Behmüller: Diese digitalen Herausforderungen sind ein sehr großer Gewinn. Weiterbildung und Ausbildung muss auch in Zeiten einer Pandemie nachhaltig betrieben werden. Das Zusammenspiel von Online- und Präsenzformaten ist hier sicher ein Lösungsansatz, den wir auch nach der Pandemie weiter ausbauen möchten.

Dieses partnerschaftliche Verhältnis auf Augenhöhe ist gar nicht genug wertzuschätzen.

Stephan Höchstädter (Leiter Customer Service)

Höchstädter: Wenn man der Pandemie überhaupt etwas Positives abgewinnen kann, dann, dass sie für den Bereich Remote-Service eine Art Katalysator ist, also auch hier das Thema Digitalisierung. Wir werden in diesem Bereich vor allem technologisch weiter Fahrt aufnehmen, um für unsere Kunden noch effizienter Serviceleistungen erbringen zu können. Während der Pandemie mussten wir zusammen mit unseren Kunden kurzfristig und sehr flexibel Hindernisse überwinden. Dieses partnerschaftliche Verhältnis auf Augenhöhe ist gar nicht genug wertzuschätzen. Auf diesem tragfähigen Fundament werden wir die aktuellen und noch kommenden Herausforderungen gemeinsam sicherlich gut bewältigen.

Dieser Artikel erschien im UpLoad Magazin 02 | 2021.

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