Mobil- und Raupenkrane

5 Minuten | Magazin 01/2019

Ein Kran-Job zwischen Pracht und Größenwahn

Es muss nicht immer Neuschwanstein sein. Will man dem Bayernkönig Ludwig II. und seiner – glaubhaft überlieferten – Verschrobenheit ein wenig auf die Spur kommen, kann man das auch bei etwas weniger Trubel auf einer Insel im bayerischen Chiemsee versuchen.

Seereise zum Märchenkönig

Jeden Herbst, wenn die Touristenströme auf Schloss Herrenchiemsee dünner werden und die besucherarme Zeit dazu genutzt wird, drinnen dem Staub auf Simsen und Kronleuchtern zu Leibe zu rücken, wird draußen der Schlosspark winterfest gemacht. Dazu gehört nicht nur, dass tausende Pflanzen abgeräumt werden müssen. Auch der Schutz der drei prächtigen wie mächtigen Brunnen des königlichen Gartens ist Bestandteil dieses jährlich wiederkehrenden Rituals. Um die mit zahlreichen Figuren bestückten Felsenbrunnen vor Schnee und Feuchtigkeit zu schützen, werden sie in jedem Herbst mit Gerüsthauben überbaut und anschließend mit Planen bespannt. Und ebenso in jedem Herbst fährt dazu vor den ersten Nachtfrösten frühmorgens ein kleiner Mobilkran ans Nordufer dieses größten bayerischen Gewässers, um sich von der dort wartenden Fähre zur Herreninsel bringen zu lassen. Zum Kran-Job beim Märchenkönig.

Im vergangenen Jahr entsandte der Mobil- und Baukranlogistiker BKL aus Forstinning bei München einen seiner Fahrzeugkrane an das knapp zwei Fahrstunden entfernte „Bayerische Meer“, den Chiemsee. Bei Einsetzen der Morgendämmerung rollte der Liebherr-Mobilkran vom Typ LTM 1060-3.1 auf die kleine Lastenfähre und wurde auf einer kurzen Überfahrt zur Insel geschippert. Dort angelangt, ging die romantische Reise weiter – vorbei an idyllischen Pferdekoppeln und stolzen Ökonomiegebäuden. Durch wabernde Bodennebel hindurch und durch ein gutes Stück des riesigen, mit mächtigen Douglasien bestückten Mischwalds, der den Großteil der Insel einnimmt. Dann hat der Kran sein Ziel erreicht: das Schloss des Bayernkönigs Ludwig II. mit seinem weitläufigen Park.

Vor der ins Morgenblau getauchten Schlossfassade warteten schon die Gerüstbauer – die letzte Tasse Frühstückskaffee noch in der Hand – auf „ihren“ Kran. Schutzhauben aus jeweils drei großen, vormontierten Teilen hatten sie in den Tagen zuvor im Schlossgarten zusammengeschraubt. Diese mussten heute nun mit Hilfe des Krans über die mächtigen, bis zu dreizehn Meter hohen Figuren-Brunnen gestülpt werden. Die Schutzhauben für die beiden größten der drei Brunnenanlagen sind aus jeweils drei großen, vormontierten Teilen zusammengesetzt. Das Kranfahrzeug konnte sich für den Einsatz nur außerhalb der riesigen, leeren Wasserbecken aufstellen. Dadurch wurde zur Montage der teilweise über zwei Tonnen schweren Lasten eine beachtliche Ausladung von knapp 25 Metern erforderlich.

Nur Zeit für einen Schnappschuss von seinem Kran vor königlicher Kulisse bleibt Darius Jagiello, dem Kranfahrer von BKL

Den Mast seines Liebherr-Krans hatte Dariusz Jagiello auf 45 Meter Länge teleskopiert, um mit dem Rollenkopf bis über die Brunnenmitte zu reichen. Der erfahrene Kranfahrer ging – mit den Lasten am Haken – äußerst behutsam vor und steuerte präzise nach den Anweisungen der Gerüstbauer. Zentimetergenaue Manöver waren nötig, um die Gestelle auf die bereits installierten Elemente zu setzen. Eigentlich eher schwebend mussten sie von den Monteuren miteinander verbunden werden. War ein Metallgerüst schließlich fertiggestellt, wurden vom Kran lange Kunststoff-Planen zum Scheitelpunkt der Gerüstkuppel gezogen. So eingehaust, vor Schnee und Regenwasser geschützt, überdauern die Schlossbrunnen in trockenem Zustand gut behütet die Wintermonate. Kurz bevor die Gäste im Frühjahr wieder zahlreich Schloss und Insel stürmen, werden die Figurenbrunnen – abermals mit kraftvoller Unterstützung eines Krans – von ihrem Winterkleid befreit und können sich dann in voller Pracht den jährlich rund 400.000 Besuchern zeigen.

Sind die Wasserspiele im Park durchaus beeindruckend, so finden sich im Schloss die durch verschwenderischen Pomp geradezu betörenden Höhepunkte eines Besuchs auf Herrenchiemsee: der imposante, 98 Meter lange Spiegelsaal, das mit Gold überladene und von Ludwig nie benutze Paradeschlafzimmer sowie das dem Pendant in Versailles um nichts nachstehende Prunktreppenhaus. Bei soviel Glanz und Gloria sollte aber auch Erwähnung finden, dass der größte Teil des zwar außen fertiggestellten Schlossbaus im Inneren unvollendet geblieben ist. Zwanzig aufs Prächtigste ausstaffierte Räume sind zu bewundern – der Rest ist Rohbau. Und das seit fast 140 Jahren.

Doch weil Sie, geschätzte Leserinnen und Leser, sich bekanntlich für Hebetechnik interessieren, soll ein weiteres Highlight auf Schloss Herrenchiemsee an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben: das sogenannte „Tischlein deck dich“. Bei diesem Kuriosum handelt es sich um einen ins Untergeschoss versenkbaren (und natürlich vergoldeten) Speisetisch für Seine Majestät. Um beim Dinieren ungestört zu sein und auch keinem Dienstpersonal begegnen zu müssen, hatte der menschenscheue Monarch sich diesen luxuriösen Speiseaufzug in seine königlichen Gemächer bauen lassen. Über einen aufwendigen Hebemechanismus konnte die im Keller fürstlich gedeckte Tafel in den Speisesaal des Herrschers emporgefahren werden.

Für all die Schönheiten und Merkwürdigkeiten des Schlosses fand Kranfahrer Dariusz Jagiello auf seinem romantischen Ausflug in die königlich-bayerische Vergangenheit jedoch keine Zeit. Alle Parkbrunnen einzupacken nahm den ganzen Tag in Anspruch. Anstatt also auf einem kleinen Rundgang durch die Säle und Räume von Herrenchiemsee dem Märchenkönig und seiner Prunksucht etwas näher zu kommen, musste sich Jagiello damit begnügen, mit dem Smartphone einen Schnappschuss seines Liebherr-Krans vor königlicher Kulisse zu schießen, bevor beide am Abend vom Fährschiff wieder zum Festland transportiert wurden. Doch vermutlich nicht mal der königliche Bauherr selbst fand genügend Zeit, die ganze Pracht des teuersten aller seiner Schlösser ausgiebig zu genießen. Ludwig II. residierte tatsächlich nur ganze zehn Tage auf der Insel.

Dieser Artikel erschien im UpLoad Magazin 01 | 2019.

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