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Die Kälte, die von der Sonne kam
Viele Gegenstände haben eine Geschichte. Doch die eines unscheinbaren Liebherr-Kühlschranks aus dem Jahr 1994, der jahrzehntelang vergessen in einer Lagerhalle stand, ist eine ganz besondere: Sie erzählt von Historikern und Entwicklern, der Sonne, Afrika und der Geburtsstunde moderner energiesparender Hausgeräte von Liebherr.
Eine unerwartete Entdeckung
Manchmal ist der Zufall der beste Detektiv. Und just ein solcher führte Hansjörg Steinhorst vom Liebherr-Archiv auf die Spur einer beinahe vergessenen Erfindung. Alles begann im Herbst 2019 mit einer Werksführung in Biberach an der Riss, bei der er den Ingenieur und Heimatforscher Johannes Angele traf. Während die beiden Geschichtsbegeisterten durch die Produktionsanlagen gingen, unterhielten sie sich angeregt über historische Sammlerstücke. „Da habe ich auch noch etwas zuhause“, sagte Johannes Angele plötzlich. „Einen Liebherr-Solarkühlschrank, der steht schon seit Jahren bei mir im Lager meines Unternehmens.“ Hansjörg Steinhorst wollte seinen Ohren kaum trauen. Zwar hatte er von diesem Kühlschrank schon gehört, doch galt der seit fast drei Jahrzehnten als verschollen.
Wenige Tage später schickte Johannes Angele dem Archivmitarbeiter zwei Fotos seines Schatzes: Ein KT 1580-Solar, der originalverpackt in einem vergilbten Karton auf einer Holzpalette stand. „Als ich die Bilder sah, war ich absolut begeistert“, erzählt Hansjörg Steinhorst. „Mein Entdeckerdrang war geweckt und ich habe sofort angefangen zu recherchieren.“ Denn er hatte viele offene Fragen: Warum hatte man einen Photovoltaik-Kühlschrank gebaut? Wer hatte ihn erfunden? Und warum war der Kühlschrank 25 Jahre später im Besitz eines Heimatforschers in Ochsenhausen aufgetaucht?
Innovation in Zeiten des Ozonlochs
Die frühen 1990er Jahre waren eine Zeit des Umbruchs für das Entwicklerteam in Ochsenhausen um Wilfried King, Herbert Gerner und Matthias Wiest. 1989 hatten die Vereinten Nationen mit dem Montreal-Protokoll ein Verbot von Fluorchlorkohlenwasserstoff (FCKW) beschlossen, das 1995 in Kraft treten sollte. „Die gesamte Kühlindustrie forschte mit Hochdruck an Kühl- und Gefrierschränken ohne FCKW-Kältemittel“, erinnert sich Matthias Wiest, der heute als Leiter im Bereich Cooling tätig ist. Wie alle anderen in der Branche arbeiteten auch die Liebherr-Entwickler in ihrem Forschungslabor im Liebherr-Werk Ochsenhausen zwischen Holzwänden, Kabeln und Messräumen an der Zukunft des Kühlens. Wilfried King, damals Leiter der technischen Grundlagenentwicklung, kann sich noch gut daran erinnern: „Das waren spannende, aber auch schwierige Zeiten“, erzählt er. „FCKW war durch seinen Beitrag zum Treibhauseffekt und der stetigen Vergrößerung des Ozonlochs in aller Munde. Man spürte richtig, dass man mitten in einem Generationenwandel steckte.“
Und das überall: Die Medien berichteten beinahe täglich über Umweltschäden, die Treibgase wie FCKW und FKW (Fluorkohlenwasserstoff) verursachten. Greenpeace machte mit aufsehenerregenden Aktionen auf den Umweltschutz aufmerksam. Und Menschen gingen für das Klima auf die Straße. Der Klimawandel war zur Realität geworden. Schließlich kam 1993 für die drei Entwickler in Ochsenhausen der langersehnte Durchbruch: Mit dem Modell KT 1580 erweitere Liebherr sein Produktportfolio erstmals um einen FCKW- und FKW-freien Kühlschrank mit der Isolation eines Gefrierschranks. Für Liebherr war es die Wende hin zum konsequenten energiesparenden Denken.
FCKW, FKW und der Treibhauseffekt
Die Treibhausgase FCKW (Fluorchlorkohlenwasserstoff) und FKW (Fluorkohlenwasserstoff) wurden als Schaumtreibmittel und Kältemittel in Kühl- und Gefrierschränken eingesetzt. Sie waren dafür bekannt, die globale Erwärmung zu fördern. Vor allem FCKW spielte eine zentrale Rolle bei der Zerstörung der Ozonschicht und der Entstehung des sogenannten Ozonlochs. Beginnend mit dem KT 1580 stellte Liebherr von 1993 an auf FCKW- und FKW-freie Kühlgeräte um.
Solarstrom für die Energiewende
„Der KT 1580 war für seine Zeit ein Vorreiter in puncto Stromsparen und wurde dafür 1994 von der Stiftung Warentest mit dem Prädikat „sehr gut“ ausgezeichnet“, erinnert sich Herbert Gerner, heute Leiter Appliance Electronics. Doch das Entwicklerteam wollte mehr, denn der Strom für den Kühlschrank kam noch immer aus der Steckdose und förderte so den indirekten Treibhauseffekt. Nach reiflichem Überlegen kam den Entwicklern die Lösung: Solarenergie. „Ich hatte in meinem Studium bereits Photovoltaik als Fach studiert. Mittlerweile hatte die Technologie große Fortschritte gemacht und man brauchte nicht mehr allzu viele Solarpanels, um ausreichend Strom für einen Kühlschrank zu erzeugen. In Bezug auf Effizienz, Kosten, Verfügbarkeit und Leistung wurde es also richtig interessant“, erklärt Herbert Gerner. Die Entwickler begannen, ihren FCKW- und FKW-freien Kühlschrank mit Sonnenenergie aufzurüsten. „Der KT 1580 war prädestiniert für den Umbau auf Solar. Er war unser Technologieprojekt. Mit ihm wollten wir Liebherr als Innovationstreiber positionieren“, sagt Wilfried King. Und der Umbau gelang. Sie hatten an alles gedacht. Man konnte den Kühlschrank sogar im Baukastensystem erwerben, also einzeln oder mit einem Solarpanel und einem Akku. Mit diesem konnte das Gerät eine Woche lang ohne Sonneneinstrahlung kühlen. „Und wir schauten noch weiter voraus“, erinnert sich Wilfried King. „Unsere Idee war es, die Solarkühlschränke in kleine Dörfer in Afrika zu bringen, die nicht ans Stromnetz angeschlossen waren, um beispielsweise Medikamente in Krankenstationen kühlen zu können.“ Ein Traum, der noch auf unerwartete Weise in Erfüllung gehen sollte.
Wenn aus Ideen "Bäume" werden
1995 wurde schließlich das Jahr des KT 1580-Solar. Ausgezeichnet mit dem damals brandneuen europäischen Energielabel als „A“, also „Spitzensparer“, widmete ihm Liebherr im April einen ganzen Stand auf der 1. Klimaschutzmesse in Berlin. Im August wurde er sogar in der Frankfurter Allgemeine Zeitung erwähnt: „Der waschmaschinengroße Schrank hat mit 144 Liter mehr Nutzinhalt als bisherige 12-Volt-Geräte, ist tropentauglich und netzunabhängig verwendbar“, titelte die Zeitung. Trotz allen Aufsehens wurden am Ende nur rund 50 Stück produziert. „Wir waren sehr stolz auf unsere Erfindung. Aber wie das so mit neuen Technologien ist, manchmal ist man einfach seiner Zeit voraus“, sagt Matthias Wiest rückblickend. Das sieht auch Wilfried King so: „Nichts ist auf Anhieb groß. Man hat nie die Sicherheit, dass eine Entwicklung Bestand hat. Eine neue Idee ist wie ein kleines Pflänzchen. Sie kann anwachsen und dann schnell verkümmern. Oder sie wächst langsam, Blatt für Blatt, bis sie zu einem Baum wird.“
Letzten Endes ist aus der Idee hinter dem KT 1580 tatsächlich ein Baum geworden – auch ohne Photovoltaik. Der Kühlschrank gilt bis heute als der Prototyp energiesparender Hausgeräte von Liebherr.
Und dann doch noch Afrika
Aber eine Frage bleibt noch offen: Wie kam es dazu, dass der Solarkühlschrank fast drei Jahrzehnte später in der Lagerhalle von Johannes Angele, dem Heimatforscher aus Ochsenhausen, auftauchte? Die Antwort ist so einfach wie überraschend. 1998, nachdem der KT 1580-Solar fast aus dem Sortiment verschwunden war, wandte sich Johannes Angele an Liebherr in Ochsenhausen. Er war für den ortsansässigen Förderverein Piela Bilanga e.V., der gemeinnützige Projekte und Schulen in Burkina Faso (Afrika) unterstützt, auf der Suche nach Kühlschränken, die man mit Solarenergie betreiben konnte. Der Verein hatte die Schule des Dorfes Piela schon 1991 mit Solarstrommodulen ausgestattet und wollte die Einwohner mit weiterer Solartechnik unterstützen. In den Hallen von Liebherr fanden sich tatsächlich noch Modelle des Solarkühlschranks. Der Verein erwarb zwei. Und einer davon würde auf eine große Reise gehen.
„Unser Verein unterstützte damals Souleymane Sow, einen jungen Mann aus Burkina Faso, der beim Aufbau der Photovoltaikmodule im Dorf Piela mit seinem technischen Wissen großen Eindruck auf uns und die deutschen Schwestern der evangelischen Mission gemacht hatte. Wir entschieden uns, für ihn zu sammeln, um ihm so eine Ausbildung zum Techniker in Deutschland zu ermöglichen“, erzählt Johannes Angele. "Nach meinem erfolgreichen Abschluss ging ich wieder zurück in meine Heimat und gründete eine Firma für Solar- und Computertechnik", sagt Souleymane Sow. Johannes Angele ist stolz auf seinen Freund und fügt mit einem Lächeln an: „Ein Jahr später schickten wir ihm dann einen der beiden Solarkühlschränke. Dieser ist übrigens bis heute in Betrieb: Er dient als Schulungsbeispiel dafür, wie man aus Sonnenenergie Kälte macht.“
Zurück wo alles begann
Der letzte verbliebene Kühlschrank aus Johannes Angeles Lager geriet in Vergessenheit. Um ihn hat sich Hansjörg Steinhorst vom Archiv letztlich persönlich gekümmert. Gegen eine Spende an den Förderverein Piela Bilanga e.V., holte er das Stück Liebherr-Geschichte wieder zurück nach Ochsenhausen. Dort wurde es in just dem Entwicklungslabor, in dem es einst entstand und unter den wachsamen Augen seiner Erfinder Wilfried King und Herbert Gerner, nach 22 Jahren wieder mit seinem Solarpanel verbunden. Heute erinnert der KT 1580-Solar als Teil der Sammlung historischer Geräte wieder an die Zeit, in der die Liebherr-Hausgeräte zu Energiesparprofis wurden.