Griff in die Tiefe
Eine riesige Schlammwolke breitet sich im Wasser vor der hohen Staumauer des Lago di Luzzone im schweizerischen Kanton Tessin aus. Mit einem Gurgeln kommt der knallrote, tonnenschwere Zweischalengreifer aus dem Wasser nach oben und lässt eine mehrere Meter hohe Wasserfontäne emporschnellen. Zehn Kubikmeter Schlamm und Geröll fasst die mächtige, metallene Faust, die Yann Blouet, einer von zwei Baggerfahrern, beinahe spielerisch mit einer Art Joystick steuert. Er navigiert sie zur Ladefläche der Schute, eines behäbigen Transportbootes, das ganz nah an den Seilbagger herangefahren ist. Dann öffnet sich der Greifer und entlädt seine nasse Fracht. „Rund zwölfmal in der Stunde hebe ich Sedimente aus“, sagt Blouet. „Die Umschlagmenge ist immens.“
Bis zu 125.000 Kubikmeter Material soll der Seilbagger des französischen Bauunternehmens S. E. Levage bis 2018 aus dem Stausee ausgehoben haben. Der Grund dafür: Das im nahe gelegenen Olivone angeschlossene Kraftwerk bekommt nicht genügend Wasserdruck, wenn Geröll und Sedimente das Filtergitter vor dem Auslass verstopfen. Da sich dies in dieser hochalpinen Umgebung nicht vollständig verhindern lässt, wird das Kraftwerk in drei aufeinanderfolgenden Jahren in den Sommermonaten ausgeschaltet. Dann kann der Liebherr-Hydroseilbagger HS 8130 HD, der auf einer Barge nahe der Staumauer fest verankert ist, seine Arbeit machen. Der Seilbagger bringt dazu eine beachtliche Power mit: Die Motorleistung beträgt 505 kW, hinzu kommen 130 Tonnen Tragkraft und 2 x 350 kN Zugkraft. Je nach Einsatztiefe kann die XXL-Maschine stündlich bis zu 130 Kubikmeter am Stausee in der Schweiz umschlagen.
Die Herausforderung ist die Tiefe, aus der die Sedimente geholt werden. Wir gehen bis zu 200 Meter hinunter auf den Grund des Sees.
Faszination der Tiefe
Yann Blouet, der mit seinem Kinnbart-Moustache ein wenig an sein Rock-Idol Frank Zappa erinnert, ist von seinem Arbeitsplatz auf 1.600 Metern über dem Meeresspiegel fasziniert: „Die Herausforderung ist die Tiefe, aus der die Sedimente geholt werden. Wir gehen 150 bis 200 Meter hinunter auf den Grund des Sees“, erklärt er.
Überraschungen gehören hier oben fest zur Jobbeschreibung eines Baggerfahrers: So können Wind, starker Regen und Steinschlag oder ein plötzlicher Wettersturz die Arbeit behindern. Manchmal fördert Blouet auch überraschende, unliebsame Last zutage: verendete Tiere – ein Schaf, ein Hirsch oder eine Gämse, die von den glatten Felsen in den See abgerutscht und ertrunken sind. Oft sind es auch richtig große Bäume oder Felsen, die von dem Unterwasserrost weggeschafft werden müssen.
„Minutenlang ist der Greifer unterwegs, um zu seiner Unterwassertiefengrabung zu gelangen“, sagt Blouet. Zu sehen gibt es da unten nichts. „Ich fühle es mit dem Greifer.“ Blouets Hände umschließen den Joystick im Cockpit, ein Blick auf den Monitor mit der GPS-Anzeige geben ihm anhand von Farbbalken die Tiefe an, in der sich der Greifer befindet. Blouet legt den Steuerungshebel in derzeit 150 Metern Tiefe an: Wieder rückt er seinem Ziel, das Gitter bei 200 Metern Tiefe komplett freigelegt zu haben, ein wenig näher.
Mit viel Power zu mehr Energie
Hydroseilbagger HS 8130 HD
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Spezialeinsatz Dredging
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Energieträger Wasserkraft
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Die Kraftwerksleistung
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Logistik
Millimeterarbeit
Wie kriegt man einen Bagger durch ein Nadelöhr? Die Transportlogistik zum Einsatzort des Hydroseilbaggers in den Tessiner Alpen war ein Abenteuer und ein technisches Meisterwerk.
Der Hydroseilbagger ist flexibel und nahezu überall einsetzbar. Und doch ist die Baustelle am Lago di Luzzone alles andere als ein gewöhnlicher Ort. Der Stausee liegt auf 1.600 Metern über dem Meeresspiegel am oberen Ende des Bleniotals. Der Weg zur Staumauer führt über eine serpentinenreiche, enge Straße aufwärts. Sie ist eine echte Herausforderung an die Transportlogistik und setzt buchstäblich millimetergenaue Planung voraus.
Wie kann der überlange Sattelschlepper die Serpentinen passieren? Wie die Talstraße aus dem Val Carassino hinauffahren und den demontierten Seilbagger durch zwei Tunnel manövrieren? Feucht und kalt ist der eine, dunkel und lang der andere. „Außerdem drohen durch den starken Regen Steinschläge“, schildert Paul Hotz vom Logistikunternehmen JMS-RISI die Gefahren.
Vor dem Transport hatten die Logistiker Schablonen angefertigt, mit denen die schmalen Durchgänge in den Tunneln bemessen, Kehren auf Bergstraßen mit 300 Meter tiefen, mit Fichten bewachsenen Abhängen und die Fahrt über die knapp 225 Meter hohe Staumauer vorausschauend geplant wurden. „Es ist alles reibungslos gelaufen“, zeigt sich Hotz nach der anspruchsvollen Anlieferung erleichtert.
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Morgens um sechs Uhr fahren der Baggerfahrer und ein Schiffer vom Ufer mit einem kleinen Boot zur Barge. Blouet prüft den Ölstand des Baggers, das Messniveau und lässt den Motor für einige Minuten warmlaufen. In der Kabine hat er sich „eine leise Musik im Hintergrund“ angestellt, die ihn vergessen lässt, dass er in dieser alpinen Bergwelt in der Kabine nur auf sich gestellt ist.
Der Tag beginnt. Der Schiffer vertäut die Schute an der Barge, nimmt die Last vom Greifer des Baggers auf, einmal, zweimal, wartet, bis die Schute voll ist, und fährt die Ladung in den hinteren Teil des Sees. Eine halbe Stunde wird es dauern, bis er zurückkommt. In der Zwischenzeit füllt Blouet die Schute auf der anderen Seite der Barge.
Faszination Technik
Der Winter lässt das Baggern im See nicht zu. Dann hat Yann Blouet Zeit für einen Abstecher ins Nenzinger Liebherr-Werk. Auch nach fast zwanzig Jahren Berufserfahrung lässt er sich dort von den Herstellungsverfahren der verschiedenen Raupenkrane, Seilbagger sowie Ramm- und Bohrgeräte begeistern. „Alles, was Technik ist, interessiert mich“, sagt Blouet. Im Werk sprühen die Funken in den dunklen Himmel der Fertigungshalle. Die Halle ist hoch wie ein Flugzeughangar. Ein Monteur schneidet Metallplatten für die Fahrzeuge. „Ausleger“ und „Nadel“, die zwei Arme eines Seilbaggers, liegen wie im Dornröschenschlaf auf dem nackten Boden. Blouet fachsimpelt mit den Arbeitern, jedes noch so kleine Detail weckt seine Aufmerksamkeit. Das kommt im Werk gut an. „Uns geht es doch allen um Qualität“, sagt Blouet. Das fange bei der Konstruktion an, gehe weiter über die Produktion und Verarbeitung bis zum absolut zuverlässigen und sicheren Einsatz in einem oft harten Alltag.
Unterwegs im Liebherr-Werk Nenzing
Ich mag es, in dieser unvergleichlichen Verbindung von Technik und Natur zu arbeiten.
Zurück auf den Lago di Luzzone. Blouet baggert nahe am Staudamm. Doch der Baggerfahrer ist nicht ganz zufrieden mit dem Aushub. Der Monitor zeigt zwanzig Meter Abstand von dem Abflussgitter an. Blouet greift zum Walkie-Talkie und ruft dem Bargenfahrer hinter ihm zu: „Näher ran!“ Die Barge bewegt sich langsam nach vorn. Nur noch etwa zehn Meter bis zur Mauer. Blouet lässt den Greifer nach unten schnellen. Vor der Wucht der über 200 Meter hohen Betonmauer wirkt Blouets Bagger mit seiner Auslegerlänge von 32 Metern Höhe nun beinahe elfengleich.