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Die Kraft der Überzeugung

Es ist der leistungsstärkste Kran, den Liebherr je entwickelt hat: Jetzt hat der HLC 295000 seinen Dienst auf dem Spezialschiff „Orion“ angetreten. Sein Ziel: einen Beitrag zur Energiewende leisten. Dass der Offshore-Kran seiner Bestimmung nachgehen wird, ist das Ergebnis einer außergewöhnlichen technischen und menschlichen Meisterleistung. Denn kurz nach der erfolgreichen Installation des Krans auf dem Schiff kam es zu einem verheerenden Rückschlag.

Ein Rückblick:

Er markiert den Aufbruch in eine neue Ära: Der HLC 295000 steht für die nächste Generation von Liebherr-Offshore-Kranen. Er wurde am Standort Rostock (Deutschland) gefertigt und im Hafen der Hansestadt auf dem Spezialschiff „Orion“ der belgischen DEME-Gruppe installiert. Zahlreiche Teams aus den verschiedensten Abteilungen arbeiteten über Jahre an diesem zukunftsweisenden Projekt. Zweifelsohne ein Meilenstein in der noch jungen Unternehmensgeschichte der Liebherr-MCCtec Rostock GmbH. Über Monate sah die gesamte Belegschaft den HLC 295000 am Standort wachsen. Und mit ihm wuchs auch der Stolz auf dieses einzigartige Produkt.

Der HLC 295000 ist ein wichtiges Werkzeug, um den Aufbau der nachhaltigen Energieversorgung für heutige und zukünftige Generationen zu realisieren.

Sein wesentliches Einsatzgebiet ist die Installation der immer größer dimensionierten Offshore-Windkraftanlagen, die einen wesentlichen Beitrag zur Energiewende leisten werden. Gleichzeitig ist die Energiewende aber auch die treibende Kraft für den verstärkten Rückbau von ausgedienten Offshore-Öl- und Gasförderanlagen, bei denen große und schwere Teile auf offener See mit Hilfe des HLC 295000 demontiert werden können. Heute schon an morgen denken, zählt zu den Liebherr-Grundprinzipien. So ist der HLC 295000 ein wichtiges Werkzeug, um den Aufbau der nachhaltigen Energieversorgung für heutige und zukünftige Generationen zu realisieren.

Es ist der 2. Mai 2020 - Ein Datum, das der gesamten Belegschaft der Liebherr-MCCtec Rostock GmbH Jahre später noch sehr präsent sein wird. Die letzten Montagearbeiten sind abgeschlossen. Der HLC 295000 ist installiert, die Orion bereit für ihren Einsatz. Bevor das Schiff jedoch auslaufen kann, werden Kran und Schiff im Rostocker Hafen vorschriftsmäßig getestet. Eigentlich ein branchenübliches Standardverfahren. Doch dann geschieht, womit niemand rechnen konnte. Beim letzten Überlasttest, bei dem eine 5.500 Tonnen schwere Last angehoben wird, versagt eines der Zukaufteile am Kran: Der Haken. Er bricht bei einer Belastung von 2.600 Tonnen. Ein Stahlgewitter bricht los. Ohrenbetäubender Lärm, die Last reißt ab und löst eine verhängnisvolle Kettenreaktion aus, bei der zwei Menschen verletzt werden und der Kran massiven Schaden nimmt. Ein Vorfall, der das gesamte Liebherr-Werk bis ins Mark erschüttert.

„Mir läuft es heute noch kalt den Rücken runter, wenn ich die Bilder sehe. Wir konnten es im ersten Moment überhaupt nicht fassen“, erinnert sich Frank Busse, Technical Advisor im Kundendienst für Offshore-Krane, der den Aufbau des Krans von Anfang an begleitet hatte. „Das erste Gefühl war Ohnmacht. Für uns ist an diesem Tag die Arbeit von Jahren im wahrsten Sinne des Wortes auf einen Schlag zusammengebrochen. Und dabei wussten wir aus all den anderen Tests vorher genau, dass der Kran funktionierte.“ Der einzige Lichtblick in diesem Moment: Dank der hohen Sicherheitsvorkehrungen ist es nicht zu größeren Personenschäden gekommen.

Trotz der schwierigen Ausgangslage haben wir den Kopf nicht in den Sand gesteckt, sondern die Ärmel hochgekrempelt und angepackt.

Ein Ruck geht durch Rostock

Der Schaden war enorm. Das Leuchtturmprojekt - zu großen Teilen zerstört. Komponenten, in die so viel Erfahrung, Schweiß und Herzblut geflossen sind, wurden innerhalb weniger Sekunden unbrauchbar. Fassungslosigkeit bei allen Beteiligten. Doch aus der Stille, die sich nach dem Vorfall über das gesamte Liebherr-Werk legte, keimte zunehmend ein überall spürbarer Tatendrang. Ohne großes Verharren wurde nach Lösungen für die nun anstehenden Herausforderungen gesucht. Aufbruchsstimmung lag in der Luft. Im engen Austausch mit allen Beteiligten fiel die Entscheidung: Der HLC 295000 wird wiederaufgebaut. Es war ein Zeichen von Partnerschaft und einem engen Zusammenhalt. Gelebte Werte – erst recht in Krisenzeiten.

Als Frank Busse erfährt, dass der Kran geborgen und wiederaufgebaut werden soll, ist er sofort zur Stelle. „Dieser Tag war für mich sehr einprägsam. Wir werden unseren Kran wiederaufbauen!“, erinnert er sich. „Es war sofort ein Ruck im gesamten Team zu spüren. Trotz der schwierigen Ausgangslage haben wir den Kopf nicht in den Sand gesteckt, sondern die Ärmel hochgekrempelt und angepackt. Genau deswegen arbeite ich bei Liebherr“, so Busse.

Aufgrund seiner Projekt- und Montageerfahrung wird Frank Busse kurz darauf in das Koordinationsteam berufen. Mit seinen Kollegen macht er sich an die Planung und an die Umsetzung der Bergung und des Wiederaufbaus. Für die Bergung gab es keine Blaupause. Der Kran hatte großen Schaden genommen. „Die Lage war unübersichtlich. Wir hatten zu Beginn lediglich eine grobe Ahnung von dem, was da auf uns zukommt“, berichtet Busse. „Aber genau das verstärkte unseren Antrieb. Das verbindet sich für mich mit einem fast schon sportlichen Ehrgeiz, für den es Leidenschaft und eine ebenso begeisterte Mannschaft braucht. All das kam beim HLC 295000 zusammen.“

Bei der Bergung und dem Rückbau, so Busse, habe sich sein Team auf die spartenübergreifende Kompetenz und die große Bandbreite hochspezialisierter Liebherr-Geräte verlassen können. „Auch unsere technischen Partner und Zulieferer haben an einem Strang gezogen“, sagt Frank Busse. „Hinzu kam die Unterstützung internationaler Experten für die Bergung des Krans. Wir hatten in Rostock definitiv die Besten der Besten am Start.“

Nach dem Rückbau fanden umfassende Untersuchungen am gesamten Kran statt. Der Ausleger und Teile des A-Bocks mussten komplett neu produziert werden. Alle Hauptkomponenten wurden genauestens inspiziert. „Wir wollten bis ins kleinste Detail wissen, was bei dem Unfall passiert war und welche Auswirkung dieser auf jede einzelne Komponente unseres Krans hatte“, erklärt Busse. „Dies ist elementar, um nach dem Wiederaufbau einen Kran auf Niveau eines Neugeräts übergeben zu können.“

Die Orion kehrt zurück

Im August 2021 kehrte die inzwischen reparierte Orion zurück in den Rostocker Überseehafen. Als Frank Busse bei seinem Dienstantritt das leuchtend grüne Schiff an der Kaikante sah, schlug sein Herz höher. „Jetzt erst recht“, freute sich der 36-Jährige. Der mittlerweile reparierte Kran wartet in den Rostocker Werkhallen auf seine Installation. Alles ist bereit.

„Wir haben erst die Drehbühne auf dem Schiff installiert, dann den A-Bock aufgesetzt und in einem letzten großen Hub den neuen Ausleger montiert“, berichtet Busse.

Mindestens genauso wichtig und herausfordernd wie die Installation der Großkomponenten, ist aber auch die Montage und Inbetriebnahme der Hydraulik, Elektrik und Software im Hintergrund. Besonders spannend sei für das Team das Einseilen. Ein 3,1 Kilometer Stahlseil, das so dick ist, wie ein kräftiger Matrosenarm, muss eingezogen werden. „Das ist jedes Mal sehr spektakulär“, sagt Busse.

Zeit für den Aufbruch

Im März 2022 sind die Arbeiten abgeschlossen. Die Inbetriebnahme des Krans beginnt. Vor dem Überlasttest herrscht eine ungewohnte Anspannung im Team. Es ist genau der Moment, an dem vor vielen Monaten das Unglück geschah. Volle Konzentration beim Hub der 5.500 Tonnen. Diesmal hält auch der Haken der Belastung stand. „Wir haben heute nichts Anderes erwartet. Aber mit einer solchen Geschichte im Rücken spüren wir doch eine gewisse Erleichterung“, gibt Frank Busse nach dem letzten Lasttest zu.

Die Orion strahlt in neuem Glanz mit dem weithin sichtbaren Schwerlastkran HLC 295000 an Bord. „Es ist vollbracht. Einfach gigantisch“, schießt es Busse durch den Kopf. Und damit meint er nicht nur den HLC 295000, sondern auch den Weg, der ihn und sein Team zu diesem Ziel geführt hat.

Sein Blick schweift über das ruhige Wasser im Rostocker Überseehafen. Zeit für Frank Busse ein Fazit zu ziehen: „Ich bin jetzt 15 Jahre im Unternehmen. So ein Vorfall bleibt hoffentlich einmalig. Was für eine Herausforderung. Wiedermal hat sich gezeigt: Unvorhergesehene Ereignisse können passieren. Sie können uns zurückwerfen. Es kommt aber immer darauf an, wie wir mit diesen Rückschlägen umgehen“, resümiert er, während die Orion - und mit ihr der leistungsstärkste Liebherr-Kran - endlich ihren ersten Einsatz antreten können.

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