Verzahntechnik und Automationssysteme

Keine Maschine von der Stange

Ein Besuch im Werk von HMC Gears in Indiana war der Auftakt zu einem umfangreichen Projekt, bei dem eine einzigartige Lösung für außergewöhnliche Anforderungen entstand: Mit der LC 4000 beschreitet Liebherr neue Wege für die Herstellung von Großverzahnungen und vereint unterschiedliche Fräsverfahren auf einer hoch effizienten Maschine für den amerikanischen Zahnrad-Spezialisten.

Südlich der Kleinstadt Princeton im US-Bundesstaat Indiana liegt, umgeben von Feldern und weiten Ebenen, das Werk von HMC Gears. Das Unternehmen ist seit rund hundert Jahren bekannt als Spezialist für Getriebe und Zahnräder für verschiedene Branchen und einer der wenigen Hersteller auf der Welt, der Zahnräder mit einem Durchmesser von bis zu acht Metern herstellt. Bei HMC ist man stolz auf das langjährige Know-how, schnelle Lieferzeiten und hervorragenden Service – und stellt dabei stets höchste Qualitätsansprüche an sich selbst sowie an die Lieferanten.

Als Zulieferer für die Montanindustrie ist der Ersatzteilservice für Großgeräte im Berg- und Tagebau ein Schwerpunkt des Unternehmens. Dabei kommt es auf jeden Tag an: Stehen die riesigen Geräte still, beschert dies dem Betreiber der Mine oder Förderanlage einen Verlust, der schnell in die Hunderttausende gehen kann. Aber auch ein geplanter Austausch von Teilen ist nicht immer ganz einfach: Die Maschinen und Anlagen laufen häufig über Jahrzehnte. Dementsprechend sind die Konstruktionszeichnungen schon alt oder nicht mehr vorhanden. Somit ist fast jedes Teil ein kritisches Teil: Hier geht es um Sonderanfertigungen und kleinste Losgrößen, das allerdings in oft riesigen Dimensionen und mit anspruchsvollen Geometrien.

Riesige Dimensionen für riesige Verzahnungen

Ein Fall für Liebherr

In den Minen und Förderanlagen sind häufig Zahnräder mit Pfeil- oder Doppelschrägverzahnungen im Einsatz. Diese besonders laufruhigen Zahnräder werden verwendet, wenn große Kräfte übertragen werden müssen. Die spezielle Anordnung der Verzahnung verhindert die Entstehung von Axialkräften, was einen Lagerverschleiß minimiert. Pfeilverzahnungen sind allerdings aufwändig und teuer in der Herstellung. Bei HMC stand als Ersatz für mehrere Hobelmaschinen die Anschaffung einer effizienten Maschine mit neuester Technologie an, die sowohl einfache Stirnradverzahnungen als auch Schräg- bzw. Doppelschräg- oder Pfeilverzahnungen herstellen kann – mit Durchmessern zwischen zweieinhalb und vier Metern: eine Investitionsentscheidung, die großes Vertrauen in den Lieferanten und dessen Know-how voraussetzt.

Ein Fall für Liebherr also: Auch, wenn man eine solche Maschine nicht abrufbereit im Portfolio hatte, war man gerne bereit, für diesen spezifischen Kundenwunsch einen Prototypen zu konstruieren und zu fertigen. Mit den gewünschten Spezifikationen war Liebherr vertraut, hatte aber noch nie alle Anforderungen in einer Maschine dieser Größenordnung zusammengeführt. Bis jetzt – denn auf der LC 4000 können nun Zahnräder mit einem Durchmesser bis zu viereinhalb Metern und einem Gewicht bis zu 36 Tonnen bearbeitet werden.

Wir waren außerordentlich zufrieden mit dem Service, den schnellen Reaktionszeiten und der technischen Unterstützung durch Liebherr.

Robert J. Smith, CEO von HMC

Projekt von Teamgeist und Erfolgswillen geprägt

Wie es dazu kam, dass HMC das komplexe Projekt gemeinsam mit Liebherr in Angriff nahm, erzählt Robert J. Smith III., CEO von HMC: „Wir waren auf der Suche nach einem Verzahnzentrum, auf dem wir alle Fertigungsschritte, vom Vorfräsen bis zur Innenbearbeitung, durchführen können. Bei einem Besuch in unserem Werk überzeugte Liebherr uns durch profundes Know-how und ein Auge fürs Detail. Schließlich war Liebherr der einzige Anbieter, der überhaupt bereit war, diese Herausforderung anzunehmen.“

Das war der Auftakt zu einer langen und konstruktiven Entwicklungsphase, in der die spezifischen Anforderungen konkretisiert wurden. „HMC ist ein anspruchsvoller Kunde im besten Sinne: Er hat hohe Qualitätsanforderungen und erwartet ein hochwertiges Produkt – insofern passen die beiden Unternehmensphilosophien perfekt zusammen. Das spiegelte sich in den sehr fairen Verhandlungen und den durchweg positiven und konstruktiven Diskussionen wider“, beschreibt Dr. Oliver Winkel, Leiter Technologieanwendung bei Liebherr, die Zusammenarbeit. Dies bestätigt Robert J. Smith: „Wir waren außerordentlich zufrieden mit dem Service, den schnellen Reaktionszeiten und der technischen Unterstützung durch Liebherr.“

Im Dezember 2015 fand nach intensiven Vorgesprächen ein ausführliches Kick-off in Princeton statt, welches in einem Lastenheft mit mehr als 100 Punkten mündete. Vieles musste neu konstruiert werden, wie zum Beispiel ein über vier Meter langer Fingerfräskopf für Außenverzahnungen, ein zweiter Hauptständer und nicht zuletzt eine spezielle Bearbeitungseinheit zum Innenfingerfräsen. Der Projektverlauf war von großer Transparenz und Offenheit im Austausch geprägt. Liebherr stellte HMC sämtliche Zwischenergebnisse in Form von Zeichnungen, Fotos, Videos und Messergebnissen zur Verfügung. Auch Rückschläge wurden kommuniziert, denn: „Beide Seiten wollten den Erfolg. Und bei Liebherr haben wirklich alle an einem Strang gezogen“, erinnert sich Peter Wiedemann, Vertriebsleiter Verzahnmaschinen bei Liebherr. Die Vorabnahme der Maschine erfolgte schließlich im Oktober 2017 in Kempten und im Frühjahr 2018 wurde sie verschifft und vor Ort durch ein Team aus Kemptener und US-Servicetechnikern in Betrieb genommen.

Innovatives Verzahnzentrum für Wälz-, Form- und 4-Achs-Fräsen

Die Maschine bietet eine hohe Flexibilität bei den Bauteilen: Sie besitzt einen neuartigen, direkt angetriebenen Fräskopf sowie einen zusätzlichen Fingerfräskopf für Außen- und Innenverzahnungen mit einem eigenen Hauptständer. Damit ist die Bearbeitung durch Wälz-, Form- und 4-Achs-Fräsen auf einer Maschine möglich – optimal für die Herstellung von Pfeil- und Doppelschrägverzahnungen. Die Technologie des Fingerfräsens wurde speziell auf die Anforderungen und Größenordnung dieser Applikation zugeschnitten. Der Fingerfräskopf weist eine sehr lange Y-Achse auf, um die thermischen Einflüsse auf das Bearbeitungsergebnis zu minimieren und damit die Bauteilqualität zu optimieren. Einen weiteren Vorteil bietet das gezielte Anfasen mit einem Kugelkopf-Fräser. Die Prozessauslegungssoftware Euklid GearCAM beinhaltet die Datenverwaltung für Werkstücke und Werkzeuge beim 4-Achs-Fräsen und kann den Prozess simulieren. Sie berechnet die erforderlichen Fräsbahnen, die Zustellstrategien sowie die Werkzeugwechsel.

Ein integrierter Werkzeugwechsler mit bis zu 60 Speicherplätzen ermöglicht den automatischen Wechsel der unterschiedlichen Fräswerkzeuge. Eine scannende Verzahnungsprüfung ist ebenfalls integriert. Die Maschine erreicht Genauigkeiten von 12 bis 15 nach dem Qualitätsstandard der American Gear Manufacturers Association (AGMA), was dem deutschen DIN-Standard 3-6 entspricht. Und welche Modulgrößen kann die Maschine bearbeiten? „Das ist nach oben offen. Im Prinzip könnte sie problemlos Modul 100 schaffen“, so Dr. Oliver Winkel.

Produktivität bei Einfach- und Doppelschrägverzahnungen erheblich gesteigert

Entscheidend für HMC war die Effizienz der Maschine sowohl bei der Herstellung von Pfeil- und Doppelschrägverzahnungen als auch von herkömmlichen Schrägverzahnungen. Auf der LC 4000 kann eine Doppelschrägverzahnung mit vier Metern Durchmesser innerhalb von ein bis zwei Tagen gefertigt werden. Die Fertigungsdauer auf traditionellen Hobelmaschinen liegt eher bei ein bis zwei Wochen – eine Produktivitätssteigerung um das Drei- bis Fünffache also. Ebenso effizient kann eine klassische Schrägverzahnung auf der Maschine hergestellt werden: Hier werden für vier Meter Werkstückdurchmesser nur etwa vier Stunden Bearbeitungszeit benötigt.

Ein enormer Mehrwert ist die Bearbeitung der Bohrung in einer Aufspannung. Dank des Aufsatzes für das Innenfräsen von Passfedernuten oder Steckverzahnungen muss das riesige und tonnenschwere Zahnrad nicht umgespannt werden. „Manchmal sind es Kleinigkeiten, die kaufentscheidend sind“, schmunzelt Peter Wiedemann. Für HMC haben sich die Investition und die lange Planungszeit gelohnt: „Wir stellen seit 1921 Zahnräder her. Die Anschaffung der LC 4000 bedeutet für uns einen Quantensprung hinsichtlich Effizienz, Kosteneinsparungen und Lieferzeiten für große Getriebe und die Sicherheit, auch für künftige Anforderungen eine leistungsfähige Maschine zu haben“, beschreibt Robert J. Smith den Mehrwert der Maschine.

Das Werk von HMC Gears im südlichen Indiana (USA)

HMC Gears

Branche: Hersteller von Verzahnungen für den Bergbau, Stahl- und Aluminiumbranche, Mineralaufbereitung, Marine, Zuckerindustrie

Gegründet: 1921

Unternehmenszentrale: Princeton, Indiana, USA

Website: www.hmcgears.com

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