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Der Naturstromspeicher Gaildorf

Volle Konzentration. Der Blick geht nach oben. Es ist mucksmäuschenstill auf der Baustelle. Frei schwebend zieht der Liebherr-Turmdrehkran 630 EC-H 70 Litronic das fast 70 Meter lange und 17 Tonnen schwere Rotorblatt nach oben. Ganz langsam. Bis hoch zur Nabe der Windkraftturbine auf 178 Meter Höhe.

Noch nie ist eine Anlage dieser Größe gebaut worden. Kranfahrer Wilhelm Lepertz und Georg Brodwolf nehmen deswegen zu zweit diese Herausforderung oben im Turmdrehkran an. Vier Augen sehen mehr als zwei. Über Funk stehen sie mit Thomas Ziegenbein im Kontakt. Der Projektleiter Installation Wind beim internationalen Bauunternehmen Max Bögl ist die direkte Verbindung der Kranfahrer zur Bodencrew, die aus dem Wald heraus mit Seilen das frei schwebende Bauteil fixiert und steuert. Alle sind hoch konzentriert. Nur die Funksprüche, die zwischen der Bauleitung und der Kanzel hin- und hergeschickt werden, hallen echoknisternd über die Baustelle. Es liegt förmlich in der Luft, dass hier heute ein Stück Technikgeschichte geschrieben wird.

Jetzt wissen wir, wie die Montage in diesen großen Höhen funktioniert. Danach geht es immer leichter und schneller.

Thomas Ziegenbein

Weltweit beachtetes Pilotprojekt

In Gaildorf, im Schwäbisch-Fränkischen Wald auf dem Höhenzug der Limpurger Berge, wird gerade die Energiewende auf ein neues Level gehoben. Die Windsparte des internationalen Bauunternehmens Max Bögl baut hier nicht nur die mit 246,5 Metern höchsten Onshore-Windkraftanlagen der Welt. Mit seinen vier Windrädern erlebt zugleich auch die Wasserbatterie – eine vollkommen neue, dezentrale Speichertechnologie – ihre Weltpremiere. Dieses weltweit beachtete Pilotprojekt, der Naturstromspeicher Gaildorf, wird durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit gefördert.

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Millimeterarbeit in 178 Meter Höhe

Das Rotorblatt hat jetzt die Nabenhöhe erreicht und muss nun vom Kran zum Anschrauben in Position gedreht werden. Und das millimetergenau. Höchste Anspannung bei Kran- und Bodencrew. In schwindelerregenden 178 Meter Höhe warten speziell gesicherte Arbeiter darauf, die Metallspinte des Rotorblatts mit der Nabe zu verschrauben. „Ein kritischer Moment“, sagt Thomas Ziegenbein. „Jetzt muss alles hundert Prozent passen.“ Als das Rattern der elektronischen Drehmomentschlüssel nach unten hallt, löst sich die Anspannung. Geschafft. „Wegen einiger starker Windböen in der Früh waren wir heute ein bisschen später dran als geplant. Der nur mit Seilen abgesicherte Hub wäre sonst zu gefährlich geworden“, sagt Ziegenbein erleichtert. „Morgen geht’s weiter. Jetzt wissen wir, wie die Montage in diesen großen Höhen funktioniert. Danach geht es immer leichter und schneller.“

Der Naturstromspeicher ist die Kombination aus einem Windpark mit einem Pumpspeicherkraftwerk. Damit lässt sich der Windstrom speichern, regeln und vor allem genau dann liefern, wenn er im Stromnetz auch wirklich gebraucht wird.

Johannes Kaltner

Eine „Batterie“ aus Wasser

Das gerade montierte Windrad am Baufeld „WEA 3“ ist keine gewöhnliche Konstruktion. „Die Wasserbatterie ist die Kombination aus einem Windpark mit einem Pumpspeicherkraftwerk. Damit lässt sich der Windstrom speichern, regeln und vor allem genau dann liefern, wenn er im Stromnetz auch wirklich gebraucht wird“, erklärt Gesamtprojektleiter Johannes Kaltner.

Als Speicher dienen die Aktiv- und Passivbecken am Fuß des Windrades. Diese werden später durch eine Druckrohrleitung mit dem talseitigen Wasserreservoir des Unterbeckens samt dazwischenliegendem Pumpspeicherkraftwerk verbunden. „Die Verlegearbeiten für die Wasserleitungen beginnen im Frühjahr“, berichtet Kaltner.

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Auch für Windkraft-Profis nicht alltäglich

Seit der Grundsteinlegung im April 2016 ist Gesamtprojektleiter Johannes Kaltner in Gaildorf mit rund 35 Facharbeitern im Dauereinsatz. Es sei die Euphorie für Innovationen und das technisch Machbare, die seine Mannschaft immer wieder aufs Neue antreibe. „Dass mit dieser Baustelle ein ganz neues Kapitel der Energiewende aufgeschlagen wird, ist auch für erfahrene Windkraft-Profis nicht alltäglich“, betont Kaltner.

Einer dieser Windkraft-Profis ist Ralf Karras. Der Berliner ist Kranfahrer aus Passion. Mit dem Joystick bedient er seinen gewaltigen LTM 11200-9.1, dem er ehrfurchtsvoll den Namen „Herkules“ gegeben hat. Und das aus gutem Grund. Der 9-achsige Liebherr-Mobilkran hat mit 100 Metern einen der längsten Teleskopausleger weltweit und bietet eine maximale Tragkraft von 1.200 Tonnen.

Kran um Kran – wer ist der Stärkste

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Hohe Kunst: Krane im Doppelpass

Der Mobilkran spielt mit dem Turmdrehkran in Gaildorf den klugen Doppelpass. Beginnen musste Karras’ Kran allerdings zunächst im Alleingang. Da hieß es für ihn, die 22 Tonnen schweren untersten Betonviertelschalen von den Tiefladern zu heben, sie auf der Kranstellfläche zusammenzuführen und mit einem 88-Tonnen-Hub in die Anlage einzupassen. Erst als das 40 Meter hohe Aktivbecken stand, konnte auf diesem Fundament der Turmdrehkran montiert werden. 22 Lkw-Ladungen, davon sechs Schwertransporte, musste Karras in Empfang nehmen. „Die ersten Kranmodule musste ich mit meinem LTM heben, später baute sich der Turmdrehkran mit seiner speziellen Hydraulikkonstruktion selbstkletternd auf“, berichtet Karras. Jetzt im laufenden Betrieb muss Karras „nur noch“ dem Kollegen oben im Kran die großen, sperrigen Bauteile für den Hub in große Höhen passend zurechtlegen.

Das Pilotprojekt Naturstromspeicher Gaildorf

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Windenergieanlagen mit Wasserspeichern

Die Leistung der Windenergieanlagen beträgt pro Anlage 3,4 Megawatt. Das Fundament der Windkraftanlagen bilden integrierte Wasserspeicher mit bis zu 30 Meter Stauhöhe im Aktivbecken. Insgesamt werden im Aktiv- und Passivbecken 160.000 Kubikmeter Wasser zur Energiespeicherung genutzt. Der Wasserspeicher ist über unterirdische Druckrohrleitungen mit dem Generator im Pumpspeicherkraftwerk verbunden. Der Höhenunterschied beträgt 200 Meter.

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Pumpspeicherkraftwerk mit angeschlossenem Unterbecken

Die Wasserbatterie funktioniert mit unterschiedlichen Stromquellen und eignet sich somit für ein modulares Konzept, mit einem Windpark wie Gaildorf genauso wie in Verbindung mit Photovoltaik oder einem Blockheizkraftwerk. Dabei sind drei Leistungsklassen erhältlich: 16, 24, 32 Megawatt.

In Gaildorf geht eine 16-Megawatt-Anlage in Betrieb, ihr Prinzip ist simpel: Wenn Wind weht, wird der überschüssige Strom, den das Stromnetz nicht aufnehmen kann, genutzt, um Wasser mithilfe des Pumpspeicherwerks aus dem Unterbecken in die integrierten Wasserspeicher der Windräder zu pumpen. Innerhalb von 30 Sekunden kann dabei zwischen Produktion und Speichern gewechselt werden. Deswegen spricht man von einem „Flexibilitätskraftwerk“.

Bei Flaute treibt das von oben herabströmende Wasser die Turbinen im Pumpspeicherwerk an. Der Windpark kann so weiterhin verlässlich und planbar Strom erzeugen und ins Netz einspeisen.

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Planvolle Stromversorgung

Die Verbindung von Wind- und Wasserkraft sorgt für eine gleichmäßige und planvolle Versorgung von Haushalten, Gewerbe und Industrie mit Naturstrom. Die Jahresstromerzeugung aus Wind kann in Gaildorf bis zu 42 Gigawattstunden betragen.

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Mit der Natur per Du

Vier Windkraftanlagen mitten im Wald zu errichten, ist nicht nur eine technische, sondern auch eine logistische Herausforderung. „Stellen Sie mal drei 70 Meter lange Rotorblätter mitten im Wald ab“, sagt Projektleiter Johannes Kaltner augenzwinkernd. „Und das ohne kompletten Kahlschlag.“ Ihm selbst liege das gute Zusammenspiel von Mensch, Natur und Großtechnologie am Herzen: „Bei der Organisation einer Baustelle wie hier in Gaildorf ist bei uns Windleuten immer auch eine Portion Demut und Respekt vor der Natur gefragt.“ Ein großer Vorteil des Turmdrehkrans sei, dass er deutlich weniger Platz brauche als andere Krantypen. „Es muss damit auch weniger Fläche im Wald gerodet werden. Je weniger Spuren die Baustelle in der Natur hinterlässt, desto besser“, so Kaltner.

Im Vorfeld hätten daher Geologen, Biologen, Geoökologen sowie Experten im Schallschutz die ökologische Verträglichkeit der Anlagen geprüft. Die Gaildorfer Bürger seien dazu schon frühzeitig in die Planungen einbezogen und umfangreich über die einzelnen Schritte informiert worden. Und was heißt all dies für die 70 Meter langen Rotorblätter im Wald? „Wir haben das Baufeld und die geschotterten Zufahrtswege so schmal wie möglich angelegt. Daher muss unsere Logistik in-time liefern, große Lagermöglichkeiten haben wir im Wald nicht. Am Fuß der Anlage hat jeweils immer nur ein Rotorblatt Platz für den Hub“, sagt Thomas Ziegenbein. Danach müsse erst wieder der Mobilkran ran und das nächste tonnenschwere Blatt von der Baustellenzufahrt über die Wipfel der Bäume heben und in die richtige Position bringen. „Der Aufwand lohnt sich“, sagt Ziegenbein. „Wenn wir weg sind, holt sich die Natur ganz schnell die Baustelle wieder zurück.“

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Ein Zeichen für die Umwelt

Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) unterstützt das Projekt in Gaildorf mit Mitteln aus dem Umweltinnovationsprogramm in Höhe von 7,15 Millionen Euro. Ein eindeutiges Zeichen der Anerkennung für diese innovative Technologie, die zum ersten Mal in einer großtechnischen Anwendung unter Beweis gestellt wird.

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