12 Minuten | Magazin 01/2020
Grandiose Aussicht
„Das ist der beste Kran der Welt“, beschrieb Uwe Langer den LTM 1500-8.1, als er den 500sten Kran dieses Typs im März 2016 bei Liebherr in Ehingen übernahm.
Schon zu Lebzeiten eine Legende
Man ist geneigt, dem Geschäftsführer des Kran- und Schwerlastunternehmens Riga Mainz GmbH & Co. KG zu glauben. Denn er hat jahrzehntelange Erfahrung in der Kranbranche und betrieb bereits mehrere LTM 1500-8.1 in seiner Flotte. Die Erfolgsgeschichte des Liebherr 500-Tonners ging weiter: Nur vier Jahre später, im März dieses Jahres, konnten wir die Nummer 600 feierlich übergeben. Der Kran ging an das koreanische Kranunternehmen Crane Korea Co. Ltd.
Der LTM 1500-8.1 ist unbestritten der erfolgreichste Großkran aller Zeiten. Doch bereits sein Vorgänger war ein Bestseller. Von 1988 bis 1999 haben wir 140 Geräte des LTM 1400 ausgeliefert. Er legte die Messlatte bei achtachsigen Mobilkranen hoch.
Zwanzig Jahre später lassen wir nun mit einigen Vätern des Erfolgs Krangeschichte Revue passieren. Wir sprechen mit Yggve Richter, der dem LTM 1500* mehrere Jahre seines Statiker-Lebens gewidmet hat, Joachim Henkel, Leiter der Abteilung Statik, Norbert Leuze von der Auslegerkonstruktion und Hans-Joachim Wenger von der Abteilung Kransteuerung.
*Die Umbenennung des LTM 1500 in LTM 1500-8.1 erfolgte im Jahr 2004, als Liebherr bei allen LTM-Kranen die Achszahl und die Version in die Typenbezeichnung integrierte.
Joachim Henkel, Leiter Statik
Konnten Sie sich damals vorstellen, dass einmal über 600 Geräte ausgeliefert werden würden?
Joachim Henkel: Nein, das war damals nicht absehbar. Obwohl der LTM 1500-8.1 schon die richtigen Gene hatte: Mit der Variabilität von zwei Teleskopauslegern mit 50 und 84 Metern Länge hatte der neue Kran ein Alleinstellungsmerkmal. Aber ganz am Anfang der Entwicklung waren wir mit den Traglastwerten im Teleskop-Betrieb nicht so richtig zufrieden. Im direkten Vergleich zum LTM 1400 war hier der Zuwachs eher enttäuschend.
Yggve Richter: Wir hatten damals ein neues Berechnungsprogramm eingesetzt, welches deutlich komfortabler war als die Vorgängersoftware. Schon aufgrund dessen war ich hochmotiviert, mein Bestes zu geben. Aber ich kann mich noch gut an eine Aussage von unserem Technischen Geschäftsführer Herrn Dr. Hamme erinnern, als ich ihm damals die ersten Tabellen vorlegte: „Na, die Traglasten hauen mich aber nicht vom Hocker …“. Das hat mich dann nochmals angespornt, mehr herauszuholen!
Im Lastenheft des Produktmanagements stand damals die Zahl 15 als durchschnittlicher jährlicher Planabsatz. Dass dieses Ziel so deutlich überschritten würde, hatten wir nicht erwartet.
Welche Ansprüche und Erwartungen hatten Sie?
Joachim Henkel: Der LTM 1500 war als Nachfolger des LTM 1400 geplant. Mit 50 Meter Teleskopausleger und der klassischen TA-Abspannung war dieser damals die Benchmark und er war bis dahin der meistverkaufte 8-Achser weltweit. Das wollten wir mit dem neuen LTM 1500 natürlich toppen und den besten Kran im Markt in der 8-Achs-Klasse bauen. Im Lastenheft des Produktmanagements stand damals die Zahl 15 als durchschnittlicher jährlicher Planabsatz. Dass dieses Ziel so deutlich überschritten würde, hatten wir nicht erwartet.
LTM 1500-8.1 mit klassischer TA-Abspannung in Hong Kong
Was waren damals die Herausforderungen beim neuen 8-Achser?
Joachim Henkel: Wie schon erwähnt, waren die zwei Teleskopauslegerlängen besonders: 50 und 84 Meter. Und 84 Meter waren damals Weltrekord bei einem Teleskopmobilkran! Das konnte allerdings nur mit dem neuartigen Ovaloid-Ausleger- Konzept realisiert werden. Der Vorgänger LTM 1400 hatte einen herkömmlichen rechteckförmigen Profil-Querschnitt mit allerhand Beulsteifen im Ausleger.
Aber Beulsteifen benötigen Platz und verhindern damit, dass sehr viele Teleskopschüsse in ausreichender Breite ineinandergeschoben werden können. Die Profilquerschnitte der Teleskopteile im LTM 1500 kamen dann nahezu ohne Beulsteifen aus. Nur deshalb konnten wir einen 6-schüssigen Ausleger mit dieser enormen Auslegerlänge bauen, der gleichzeitig auch eine gute Steifigkeit, insbesondere in seitlicher Richtung, aufwies.
Wir hatten allerdings keine praktischen Erfahrungen mit diesem neuartigen Teleskopausleger. Es wurden damals mit enorm großem zeitlichen Aufwand FEM-Simulationen betrieben, um die Stabilität das Auslegers zu beurteilen. Eine FEMStabilitätsberechnung eines Teleskopauslegerteils mit einem Lastfall dauerte circa 18 Stunden, heutzutage erledigt der Rechner das in 5 Minuten.
Hans-Joachim Wenger: Auch für die Steuerung war der Anspruch, wahlweise zwei verschiedene Ausleger anbauen zu können, eine neue Herausforderung. So musste die Kransteuerung, abhängig vom angebauten Zustand, den 4- bzw. 7-teiligen Ausleger möglichst effektiv in der kürzest möglichen Zeit auf die gewünschte Teleskoplänge bringen. Als Schnittstelle zum Kranfahrer mussten dazu auch die erforderliche Bedienung und Visualisierung im vorhandenen LICCONMonitor untergebracht werden.
Yggve Richter: Neben der rechnerischen Beherrschung der Traglastberechnung in Verbindung mit der Y-Abspannung war die Entwicklung eines Berechnungskonzepts für die Stabilitätsbeurteilung der einzelnen Teleskopteile die größte Herausforderung. Beim 6-teiligen Ausleger wären 4.096 theoretische Kombinationen der Ausfahrzustände möglich. Auch mit der neuen Software kam man da schnell an seine Grenzen.
Hans-Joachim Wenger, Steuerung
Hans-Joachim Wenger: Diese enorme Anzahl von möglichen Ausfahrzuständen in Kombination mit den kombinierbaren Zubehören – Wippspitze, Feste Spitze, Feste Spitze hydraulisch wippbar, Abspannung mit Exzenter und Spacer – führte dazu, dass der dafür notwendige Tabellenumfang enorm anwuchs. Dies stellte die Kollegen der LMB-Entwicklung vor große Herausforderungen bezüglich Speicherkapazität, Verwaltung und Verarbeitung in der Lastmomentbegrenzung.
Wir hatten zunächst die bis dahin übliche Teleskopausleger-Abspannung TA. Dann kam die räumliche Y-Abspannung. Wann genau?
Yggve Richter: Meine erste Tabelle stammt vom 27.09.2001.
Joachim Henkel: So richtig Fahrt aufgenommen hat der LTM 1500 tatsächlich erst nachdem wir die Y-Abspannung entwickelt hatten. Dadurch wurden die Traglasten bei großen Auslegerlängen insbesondere in Verbindung mit Gitterausrüstung so richtig nach oben geschraubt.
Norbert Leuze, Konstruktion
Was war das Neue an der Y-Abspannung?
Norbert Leuze: Die TA-Abspannung nahm nur Momente in Längsrichtung auf, verhinderte also die Durchbiegung des Auslegers nach vorn. Die Y-Abspannung nimmt zusätzlich auch Seitenmomente auf, verhindert also auch die Durchbiegung zur Seite und kann dadurch höhere Lasten heben.
Durch die seitliche Verstellung der Y-Abspannböcke kann je nach Auslegerlänge und Rüstzustand ein optimierter Abspannwinkel eingestellt werden.
Wo lag die konstruktive Herausforderung?
Norbert Leuze: Wie die TA-Abspannung sollte auch die neue mit möglichst wenigen Hüben auf den Ausleger montiert werden können. Zudem durfte die Fahrzeugbreite nicht überschritten werden, da in einigen Ländern die Abspannung auf der Straße mittransportiert wird.
LTM 1500-8.1 montiert mit Y-Abspannung Turmdrehkrane an der Sagrada Familia in Barcelona.
Und wie beim alten System musste die Abspannung nach dem Spannvorgang mechanisch blockiert werden. Dies wurde durch Zähne an der Bordscheibe der Winde erreicht.
Hinzu kam nun allerdings, dass die Abspannböcke noch seitlich schwenkbar sein mussten. Die Untersuchungen waren sehr aufwendig. Da wir nun im Raum untersuchen mussten, wäre das ohne 3D-CAD fast unmöglich gewesen.
Was bedeutete das neue System für die Steuerung und Sensorik?
Hans-Joachim Wenger: Das damals neu entwickelte Abspannprinzip, mit je einer Abspannwinde auf beiden Seiten des Auslegers und hydraulisch angesteuerten Klinken- und Abspannzylindern, erforderte eine entsprechend hohe Anzahl von Sensoren und Aktoren. Da für das Öffnen der Klinke und für den eigentlichen Abspannvorgang jetzt automatische Funktionsabläufe nötig waren, mussten wir deren Steuerung weitestgehend in die LICCON verlegen. Die Bedienung und Visualisierung haben wir auf dem 2. LICCON-Monitor in der Kranführerkabine realisiert.
Das war für mich damals eine spannende Aufgabe. Zusätzlich zur allgemeinen Kransteuerung war ich beim Thema Teleabspannung zuständig für die Programmierung der Anzeigeund Bedienelemente im LICCON-Monitor und der SPS Steuerung. Die Zusammenarbeit über Abteilungsgrenzen hinweg war optimal.
Übrigens war diese Teleabspannung die Grundlage für die weiteren, immer mehr verfeinerten Abspannmethoden unserer aktuellen Teleskop-Großkrane.
Wie aufwendig waren die neuen statischen Berechnungen?
Yggve Richter: Mit der neuen Abspannung mussten wir erst einmal Erfahrungen sammeln. Daher haben wir unzählige Messungen auf dem Prüfplatz gemacht. Es wurden die Abspannkräfte unter bestimmten Belastungen gemessen und mit den von uns errechneten Kräften verglichen. Es stellte sich schnell heraus, dass es teilweise zu erheblichen Abweichungen kam. Aufgrund dessen mussten wir Toleranzen einführen, das bedeutet, dass wir die Auslegerfestigkeit nun zukünftig 4-mal rechnen mussten. Das vervierfachte aber auch die Zeit!
Yggve Richter, Statik
Was gab es sonst an Neuerungen im Laufe des Kranlebens, die die Statik betrafen?
Yggve Richter: Die Einführung des Spacers ab 2002 gab der Y-Abspannung im TYN-Betrieb, also mit Wippspitze und abgespanntem Ausleger, nochmal einen richtigen Kick!
Norbert Leuze: 2004 haben wir noch einen Exzenter speziell für den TYF-Betrieb, wenn mit fester Spitze und Abspannung gearbeitet wird, entwickelt, um die Traglasten zusätzlich zu steigern.
Joachim Henkel: Eine Verbindung aus beiden Systemen ist seitdem bei allen Liebherr-Kranen mit Y-Abspannung Standard. So war der LTM 1500-8.1 ein echter Technologieträger und wir haben enorm viel gelernt.
Herr Richter, können Sie abschätzen, wie viele Stunden Ihres Lebens sie mit dem LTM 1500 verbracht haben?
Yggve Richter lacht: Nein, das kann ich nicht. Es gab natürlich auch andere Projekte. Zwischendurch habe ich dann immer wieder Sondertabellen für den 1500er gemacht. Insgesamt werden es so fünf bis sechs Jahre Vollzeit gewesen sein.
Arbeiten Sie zurzeit noch am LTM 1500-8.1?
Ja, ich habe pro Woche noch zwischen zwei und drei Stunden mit ihm zu tun. Es sind hauptsächlich „Windanfragen“. Der Kunde will Lasten mit großen Windangriffsflächen heben, welche nach der Standardumrechnung, die der Kunde selbst machen kann, zu sehr geringen Windgeschwindigkeiten führen würden. Wenn wir diese Spezialfälle in unser Programm eingeben, können wir in der Regel deutlich höhere maximale Windgeschwindigkeiten zusagen. Von dieser Art habe ich seit 2000 mehr als 1.200 Anfragen beantwortet.
Nach über 20 Jahren wird der LTM 1500-8.1 vom neuen LTM 1650-8.1 abgelöst. Wo sehen Sie den Erfolg des LTM 1500-8.1 und was geht Ihnen am Ende eines so erfolgreichen Kranlebens durch den Kopf?
Joachim Henkel: Zunächst sind das natürlich die Leistungsdaten des Krans und zudem seine Flexibilität und Mobilität. Aber ganz wichtig ist, dass wir ihn ständig weiterentwickelt haben, insbesondere getrieben durch den Boom in der Windindustrie. Und wir sind auch auf exotische Kundenwünsche eingegangen, welche wiederum für weitere Kunden zu Kaufargumenten wurden. Bei diesem Kran haben wir wohl nicht viel falsch gemacht.
Dieser Artikel erschien im UpLoad Magazin 01 | 2020.