Michael Kunz, Manager Global Indirect Material bei der Liebherr-Hausgeräte Ochsenhausen GmbH (Deutschland)
Herr Kunz , Sie – und auch einige andere Liebherr-Mitarbeitende – haben schon viele Jahre davon geträumt, dass der L 319 irgendwann zu neuem Leben erweckt wird. Wie kam es ausgerechnet jetzt dazu und was bedeutet der Nachbau Ihnen persönlich?
Michael Kunz: Die Geschichte des L 319 hat mich immer besonders fasziniert. Durch meine Sammelleidenschaft für historische Geräte und Gegenstände aus dem Bereich der Liebherr-Kühl- und Gefriergeräte hatte ich hin und wieder auch mal das Hirngespinst, selbst eines der alten Fahrzeuge zu erwerben, die Liebherr damals als fahrende Schaufenster eingesetzt hat – das lag jedoch außerhalb meines finanziellen Budgets. Dieses Jahr hat sich dann die einmalige Gelegenheit ergeben. Die IFA in Berlin ist die wichtigste Fachmesse für unser Produktsegment und 2024 kommen gleich drei Jubiläen zusammen: 100 Jahre IFA, 75 Jahre Liebherr und 70 Jahre Liebherr-Kühl- und Gefriergeräte. Aus diesem Anlass haben wir dem Stand einen großen geschichtlichen Bereich gewidmet. Dies war der ideale Zeitpunkt, um den Nachbau des historischen fahrenden Schaufensters zu realisieren. Da die Messe-Dienstleistungen über den Strategischen Einkauf organisiert werden, konnte ich mich direkt einbringen. Für mich war es ein absolutes Herzensprojekt und ich freue mich sehr, dass wir es umsetzen konnten.
Ein solches Projekt erfordert sicherlich sehr viel Planungs- und Organisationsaufwand. Sind Sie dabei auf besondere Herausforderungen gestoßen?
Michael Kunz: Zunächst haben wir den Ansatz verfolgt, das Projekt im Gesamtkontext des IFA-Messebaus zu realisieren. Dabei sollte ein nicht ganz passendes Fahrzeug lediglich äußerlich für die Messe auf Vordermann gebracht werden. Wir haben jedoch schnell erkannt, dass die Umsetzung des Projekts in der Branche der Oldtimer-Restauration zielführender ist. Dies lag im vergleichbaren Kostenrahmen und führte sogar zu einem voll funktionsfähigen Fahrzeug mit Zulassung, das auch nach der IFA noch weiter ausgestellt werden oder auf Tour gehen kann. Eine Herausforderung war unser eigener Anspruch, den Nachbau so nah wie nur möglich am Original von damals zu halten. Dies war insbesondere zu Beginn schwierig, da uns sehr wenige Fotos vom L 319 zur Verfügung standen. Nur dank der intensiven und umfangreichen Unterstützung durch Hansjörg Steinhorst vom Archiv der Firmengruppe Liebherr konnten wir Stück für Stück die einzelnen Puzzleteile für eine originalgetreue Restauration zusammenfügen – das umfasste beispielsweise auch die genaue Farbdefinition von damals. Bei den Recherchen ist Herr Steinhorst übrigens auf eine Kuriosität gestoßen: Damals wurden die Schriftzüge auf Fahrzeugen noch per Hand aufgebracht. Auf einem Foto, welches das Logo auf der Beifahrerseite zeigt, war ein kleiner Fehler zu erkennen: Anstelle von „Ochsenhausen“ stand dort „Ochsennhausen“, mit einem n zu viel. Ob dieser Fehler damals noch entdeckt und korrigiert wurde, lässt sich wohl nicht mehr klären. Dennoch haben wir diese kleine Geschichte bewahrt, indem uns die Werner Dreyer Kfz GmbH eine Magnettafel mit diesem Schreibfehler erstellt hat – sie kann an der besagten Stelle einfach angebracht und wieder abgenommen werden.
Nachdem alle Beteiligten Feuer und Flamme für diese Herzensangelegenheit waren, dürfte die Auswahl eines geeigneten Partners für die Umsetzung eine große Rolle gespielt haben. Warum haben Sie sich für die Werner Dreyer Kfz GmbH entschieden?
Michael Kunz: Bei der Suche nach einem geeigneten Fahrzeug für den Nachbau sind wir unweigerlich auf die Werner Dreyer Kfz GmbH gestoßen, eine Mercedes-Benz Classic Werkstatt. Mit ihrem riesigen Ersatzteillager und einer Vielzahl wunderschön restaurierter Oldtimer-Trucks war uns schnell klar, dass wir eine exzellente Adresse für unser Vorhaben gefunden hatten. Durch ihre hervorragende Vernetzung auf dem Markt für 319-Fahrzeuge haben Herr Dreyer und sein Team schnell ein passendes Modell in Finnland aufgespürt – ein ehemaliger Funkwagen eines Flugplatzes, Baujahr 1963, mit wenig Rost, niedrigem Kilometerstand und einem Benzinmotor mit 68 PS. Als wir Herrn Dreyer und sein Team vor Ort besucht haben, standen wir keine drei Minuten nach der Begrüßung buchstäblich im L 319. Gemeinsam studierten wir die Bilder und diskutierten die entsprechende Ausführung, ihre Leidenschaft und Expertise für Mercedes-Oldtimer-Trucks war von der ersten Minute an spürbar. Als Herr Dreyer uns am Ende des Tages noch seine „Schatzkammer“ öffnete, die eine Fülle an Oldtimer-Karosserien und über 50.000 Ersatzteile in einem Gebäude mit einer Fläche von 6.000 Quadratmetern beherbergt, wussten wir endgültig, dass wir mit diesem Projekt in den besten Händen sind.
An Bord des Nachbaus befinden sich mehrere historische Kühl- und Gefriergeräte, die der L 319 bereits damals auf seinen Touren ausgestellt hat. Um welche Modelle handelt es sich dabei und wo haben Sie die Vintage-Stücke aufgetrieben?
Michael Kunz: Gelegentlich kommt es vor, dass ein historisches Gerät seinen Weg zurück in unsere Produktionsstätte in Ochsenhausen findet. Einige nostalgiebegeisterte Kolleginnen und Kollegen betreiben dort ein kleines Lager mit historischen Modellen. Da im Bestand nicht ausreichend passende Geräte vorhanden waren, habe ich mich sehr gefreut, dass ich zwei Geräte aus meiner privaten Sammlung zu diesem schönen Projekt beisteuern durfte. Die historischen Modelle im L 319 umfassen die Typen KT (Kühlschrank mit Tischplatte) und KS (Kühlschrank) aus dem Kühlschrankprogramm 1962/63. Im hinteren Bereich des Schaufensters steht ein KS 200, das damalige Flaggschiff des Sortiments. Dieses hohe Gerät bietet mit seinem großen Gefrierfach viel Nutzinhalt. Auch das Design war damals schon von großer Bedeutung und trumpfte zum Beispiel mit Glasböden oder Abstellern mit Zierleisten und diversen Designelementen auf. Damit war Liebherr von Beginn an im Premiumsegment zuhause und wurde dem damaligen Slogan „Einer der Besten!“ gerecht. Alle ausgestellten Kühl- und Gefriergeräte hat die Werner Dreyer Kfz GmbH ebenfalls umfassend überholt. Sie wurden vollständig zerlegt, gründlich gereinigt, neu lackiert und mit frischen Schriftzügen, Logos und Typenschildern versehen. Die größte Herausforderung bei der Aufbereitung stellten die Türdichtungen dar, die im Laufe der Jahrzehnte porös geworden waren und nicht mehr gerettet werden konnten.
Abschließend bleibt nur noch zu fragen, wie die Reaktionen auf den Nachbau des fahrenden Schaufensters ausgefallen sind und was Ihnen selbst durch den Kopf geht, wenn Sie den „neuen alten“ L 319 sehen?
Michael Kunz: Ich bin mit dem Ergebnis rundum zufrieden, beim Anblick des „neuen alten“ L 319 fühlt man sich direkt in die 60er-Jahre zurückversetzt. Es wurde großer Wert auf Originalität gelegt, mit nur minimalen Abweichungen zugunsten der Straßenzulassung. Die Werner Dreyer Kfz GmbH hat die Restauration exzellent umgesetzt, meine Kolleginnen und Kollegen waren ebenso begeistert wie die Besucherinnen und Besucher der IFA – dort war der L 319 ein echter Publikumsmagnet. Seit wir den Nachbau erstmals öffentlich präsentiert haben, gehen zahlreiche Anfragen für weitere Auftritte auf Messen, Presseterminen oder anderen Veranstaltungen ein. Mit diesem Fahrzeug wird die erfolgreiche Historie der Liebherr-Kühl- und Gefriergeräte auf wunderschöne Weise erlebbar gemacht und ich bin überzeugt davon, dass der L 319 künftig noch oft zu sehen sein wird.