7 Minuten | Magazin 02/2022
Zwei Kraftpakete auf Sardinien
Im Januar des Jahres 2020 tauchten erstmals Berichte von dem damals in China neu entdeckten Coronavirus in den Nachrichten auf. Etwa zur gleichen Zeit legten drei Schiffe an den Kaimauern des Hafens von Cagliari an, der größten Stadt auf der italienischen Mittelmeerinsel Sardinien.
Pandemie überrascht Mammoet-Team auf Sardinien
In deren Bäuchen und an Deck: Kranmaterial und Equipment des niederländischen Unternehmens Mammoet, weltweiter Spezialist für schwerste Aufgaben aller Art. Auch zwei der größten Liebherr-Raupenkrane waren mit an Bord. Umfangreiche Revisionsarbeiten in einer Raffinerie standen auf dem Programm. Nur Wochen später riegelten die italienischen Behörden große Epizentren von Corona-Ausbrüchen im Land ab, etliche Produktionsbetriebe wurden geschlossen. Für acht Mammoet-Mitarbeiter auf Sardinien begannen entbehrungsreiche Monate mit viel Arbeit und ohne Ablösung. Die durfte nämlich nicht auf die Insel reisen.
Zentimeterarbeit - Der über 500 Tonnen schwere FCC-Regenerator wurde präzise an bestehenden Anlagen vorbeigeführt.
Acht motivierte Männer können mit ausreichend Verpflegung und viel Espresso Großartiges leisten.
Dass sich für Simone Agostinetto, Projektleiter von Mammoet vor Ort, und seine sieben Kollegen der berufliche Inselaufenthalt letztendlich über die gesamte Projektzeit von mehr als sechs Monaten erstrecken sollte, war zunächst natürlich nicht abzusehen. Doch die damals auch für Sardinien rasch umgesetzten strikten Reisebeschränkungen verhinderten, dass die Crew aus Kranfahrern und Personal für die SPMT-Fahrzeuge (self propelled modular transporter) verstärkt oder abgelöst werden konnte. Somit war die kleine Truppe des Schwerlastunternehmens mit ihrem umfangreichen und mächtigen Equipment bei den anstehenden Aufgaben während des Stillstands der petrochemischen Anlage auf sich allein gestellt. Neben einem Liebherr LR 11350 hatten die Männer auch den größten Raupenkran von Liebherr mit im Gepäck: einen LR 13000.
Ohne Platzangst - Die eingeschränkte Bewegungsfreiheit wird bei dieser Aufnahme vom LR 11350 überdeutlich.
Diesen Krangiganten hat Liebherr bislang sechs Mal gebaut und an seine Kunden ausgeliefert. Der Erste – hier auf den Bildern zu sehen – wurde vor ziemlich genau zehn Jahren an die Niederländer übergeben. Der Kran hat seither auf der ganzen Welt an Großprojekten mitgewirkt. So war er zum Beispiel in Dubai beim Bau des größten Riesenrads der Welt im Einsatz. Das Unternehmen Mammoet, seit Jahrzehnten ein für uns wichtiger Partner, entwirft und fertigt für eigene Anwendungen übrigens auch selbst große Spezialkrane von gewaltigen Ausmaßen.
Aber zurück auf die Insel: Für die gestellten Aufgaben auf dem Gelände der Raffinerie an Sardiniens Südküste waren die beiden Liebherr-Raupenkrane die passenden Werkzeuge. Viele Anlagenkomponenten bis hin zu großen Reaktoren und Kolonnen mussten im Rahmen der Werksüberholung bewegt werden. Größter Brocken für den LR 13000: ein sogenannter FCC-Regenerator. FCC ist das Kürzel für „Fluid Catalytic Cracking“ und steht für einen Stoffumwandlungsprozess in der erdölverarbeitenden Industrie. Beim Hub dieses kolossalen Bauteils musste der 3.000-Tonnen-Raupenkran inklusive üppigem Sicherheitszuschlag für einen Brutto-Lastfall von gewaltigen 695,5 Tonnen bei beachtlichen 65 Metern Ausladung gerüstet sein. Die Manöver mit dem Regenerator am Haken stellten höchste Anforderungen an das ganze Team, weil dabei extreme Engstellen passiert werden mussten. Teils lag weniger als ein Meter Abstand zwischen Last und Anlage.
Dimensionen werden sichtbar - Mächtige Gegengewichte sorgen für ausreichend Standfestigkeit. Der LR 13000 war für den schwersten Hub mit insgesamt 2.050 Tonnen Ballast bestückt.
Huckepack - Teilweise auch in der Nacht musste die kleine Transport-Crew mit ihren SPMT-Fahrzeugen gewaltige Lasten bewegen.
Doch nicht nur in Bezug auf die wuchtigen Lasten, auch hinsichtlich der Stellflächen und Bewegungsräume für die Krane selbst war das außerordentlich knappe Terrain inmitten der petrochemischen Anlagen für das MammoetTeam eine echte Herausforderung. „Genau für diese Fälle haben wir den LR 13000 mit sogenannten B0-Tabellen versehen, einer Variante der Traglasttabelle für Kranarbeiten mit abgehängtem Schwebeballast“, erklärt Jens Könneker, Produktmanager für die Raupenkrane hier bei uns in Ehingen. „Das Eigengewicht der am Gegenausleger verbleibenden Derrickzugzylinder und der Zugstangen wird jedoch berücksichtigt. Auch wenn es nur 50 Tonnen sind, können wir sie als Gegengewicht nutzen.“ Damit kann der Kran auf engen Baustellen oder bei Arbeiten mit weniger Ausladung möglichst flexibel ohne Umstapeln von Ballast eingesetzt werden.
Clever bei Platzmangel - Für das Arbeiten bei geringer Ausladung kann der LR 13000 den Schwebeballast absetzen und auf engstem Raum manövrieren. Die 50 Tonnen Eigengewicht der am Gegenausleger verbleibenden Derrickzugzylinder und der Zugstangen werden dabei als Ballast genutzt und mit einkalkuliert. Entscheidendes Feature auch beim eingezwängten Arbeiten zwischen den Raffinerieanlagen auf Sardinien.
Auf Sardinien haben die Männer von Mammoet sich genau diese Möglichkeit der Rüstvariante zunutze gemacht. Simone Agostinetto: „Die Ballastpalette hatte seitlich nur wenige Zentimeter Raum. Wir waren also gezwungen, den Regenerator bei einem so kurzen Radius aufzunehmen, dass der LR 13000 die Last zunächst ohne den Schwebeballast anheben konnte. Dann haben wir geschwenkt und den vorhandenen Schwebeballast angedockt, um die benötigte Ausladung zu erreichen. Hat gut geklappt.“
Agostinetto und sein Team haben auf Sardinien jedenfalls souverän abgeliefert. Im Sommer, nach über einem halben Jahr Insel-Quarantäne, konnten er und seine Crew endlich die Koffer packen. Mission erfüllt! Auf die Frage, wie die nur achtköpfige Mannschaft es geschafft hat, ohne Verstärkung und Ablösung ein solch beträchtliches Pensum an Arbeit zu bewältigen, kommentiert Einsatzleiter Agostinetto: „Die Mannschaft war sehr erfahren und flexibel.“ Und schiebt noch hinterher: „Acht motivierte Männer können mit ausreichend Verpflegung und viel Espresso Großartiges leisten.”
Dieser Artikel erschien im UpLoad Magazin 02 | 2022.