3 Minuten | Magazin 01/2020
Darf's ein bisschen mehr sein?
„Way out there“ oder „ganz weit draußen“ kann bei einem Kran vieles heißen: Ziele und Visionen. Ausleger und tragkräftige Spitzen. Oder Evolutionen, die fast schon revolutionär sind.
Kevin Long, Wind Division Director, Buckner Heavy Lift Cranes
Windpapst
Von daher passte es gut, dass Kevin Long im Oktober 2017 ausgerechnet Lord Hurons Song „Way out there“ hörte, während er in North Carolina die Windkraftmontagen der Zukunft für die USA skizzierte. Erst gedanklich. Dann präzise – im Gespräch mit Liebherrs Technischem Vertrieb für Raupenkrane.
Sie müssen wissen: Kevin Long ist Windpapst, Einsatzplaner, Kranverrückter. Beim amerikanischen Kranspezialisten Buckner arbeitet er als „Wind Division Director“. Er sieht die immer höheren Türme, die zunehmend schwereren Komponenten.
Buckner betrieb schon damals mit sieben Raupenkranen vom Typ LR 11000 die größte Flotte dieses Typs weltweit, hauptsächlich zur Montage von Windkraftanlagen.
Was schon richtig gut lief – der Liebherr-1.000-Tonner kommt in den USA für die dort üblicherweise installierten Windkraftanlagen ohne aufwändiges Derricksystem aus – wollte Kevin Long noch besser machen: „Manchmal muss man auf ungewohnten Pfaden gehen, um neue Wege, tragfähige Strategien oder langfristige Lösungen zu finden.
Die Möglichkeit, Weiterentwicklungen und Verbesserungen mit Liebherr offen zu diskutieren, zeigt, dass Liebherr auf Teamarbeit mit seinen Kunden setzt.
Meine Überlegungen kreisten um eine deutlich stärkere Spitze. Wollen wir die schwereren Anlagen der Zukunft mit gleicher Effizienz montieren, dann brauchen wir stärkere Spitzen – und das schnell.“
Mit den Raupenkran-Auslegersystemen kennt sich Kevin Long bestens aus: Bei Windkrafteinsätzen in den USA arbeiten die meisten der LR 11000 Raupenkrane nur mit Hauptausleger und fester Spitze, was beim Rüsten und Verfahren des Krans ein großer Vorteil ist. Daher brauchte er auch nur wenige Tage, um Liebherr seine Idee zu präsentieren: eine Spitze mit einer Tragkraft von 220 Tonnen – 40 Tonnen mehr als bisher. Das vorläufige Design mit Traglastberechnung sollte in sechs Monaten vorliegen. Weitere vier Monate später die finale Konstruktion. Ersteinsatz in den USA: geplant für März 2019.
Florian Ritzler, technischer Vertrieb Raupenkrane
Zugegebenermaßen war das eine mehr als sportliche Aufgabe für unsere Konstrukteure in Ehingen. Doch wer lehnt schon ab, wenn der Metzger an der Theke fragt: „Darf's ein bisschen mehr sein“? Allerdings hat die Physik ihre eigenen Grenzen – die wir gerne für unsere Kunden mit modernsten Technologien immer wieder aufs Neue ausloten. Wichtig dabei: eine gute Konstruktion sowie eine hochwertige Fertigung brauchen Zeit. „Wir sind erst zufrieden, wenn unsere Kunden zufrieden sind“, sagte einst unser Firmengründer Hans Liebherr. Dass das noch heute gilt, bewiesen unsere Ingenieure, die sich mit Hochdruck sofort ans Rechnen und Zeichnen machten.
Es war im Januar 2018, als Kevin Long mit seinem Chef Doug Williams sowie Thomas Chandler von der Firma Mortensen, einem der größten Energieunternehmen in den USA, in Ehingen am Tisch saßen. Ihnen gegenüber Klaus Huberle und Florian Ritzler vom Technischen Vertrieb für Raupenkrane. Heute können wir sagen: Das war die Geburtsstunde des SL8-Auslegersystems mit F2-Spitze.
Klaus Huberle, General Manager Raupenkrane
Von da an wurde stetig weiterentwickelt. Bereits im März begannen die Liebherr-Ingenieure mit den konkreten Konstruktionen. Einen Monat später stellte Florian Ritzler in Minneapolis bei Mortensen und Buckner das Konzept vor. Die Antwort: „Das reicht noch nicht ganz. Es muss noch mehr gehen!“ Mindestens 230, besser noch 240 Tonnen sollte die neue Spitze heben können.
„Die Möglichkeit, Verbesserungen und Upgrades offen mit Liebherr zu diskutieren, drückt einen einzigartigen Teamansatz aus“, erinnert sich Kevin Long an den intensiven Prozess. „Mit dem LR 11000 hatte Liebherr einen sehr starken, kompakten und vielseitigen 1.000-Tonnen-Raupenkran gebaut. Gerade die Vielseitigkeit dieses Geräts hat es den Ingenieuren erlaubt, extrem offen für Kunden- und Marktanforderungen zu sein. So ist es wunderbar einfach, Weiterentwicklungen voranzubringen und den Kran für zukünftige Aufgaben fit zu machen.“
Es wurde mit absolutem Fokus auf die Anforderungen des Kunden weitergearbeitet. Das Ergebnis: 250 Tonnen Tragkraft. Der Rest ist schnell erzählt: Fertigungsfreigabe im Oktober 2018 und damit ein Jahr nach der ersten Idee. Im Januar 2019 war dann die erste F2-Spitze fertig und wurde getestet. Auslieferung an Buckner: April 2019. Einen Monat später als ursprünglich gefordert, dafür aber mit 30 Tonnen mehr Leistung. Und Kevin Long? Fühlt sich mit seiner Spitze „way out there“: „Der LR 11000 ist der heutige Benchmark für die Windkraft in den USA. Mit diesem Kran bleiben wir auch in sich verändernden Märkten einfach spitze.“ Und die Zahlen geben ihm Recht: Mittlerweile betreibt Buckner bereits 17 Krane vom Typus LR 11000, fünf davon mit dem neuen System SL8F2.
Dieser Artikel erschien im UpLoad Magazin 01 | 2020.