6 Minuten | Magazin 02/2021
Die Verbindung zweier Welten
Ein Kran, der die Raupenkranwelt verändern wird. Ein Kran, der Transportvorteile und Leistungsfähigkeit vereint. Ein Kran, der die Elemente Wind und Erde verbindet. Ein Kran, der die Vorzüge zweier Klassen kombiniert. Leistungsstark, wirtschaftlich und zukunftsweisend.
Steffen Schwertle, Projektleiter Abteilung Statik
Steffen Schwertle ist Projektleiter in der Abteilung Statik und spricht über „sein“ Meisterstück: Der LR 1700-1.0 positioniert sich als Transport- und Leistungswunder zwischen der 600- und der 750-Tonnen-Klasse.
Herr Schwertle, wie entstand der neue Raupenkran? Von welchem Kran hat der LR 1700-1.0 seine Gene?
Steffen Schwertle: Der LR 1700-1.0 ist eine Überarbeitung des erfolgreichen LR 1600/2, von dem wir über 200 gebaut haben. Eine Idee war, dass Auslegerteile des LR 1600/2 übernommen werden können.
Im Anfangsstadium der Entwicklungsphase erkannten wir, dass eine alleinige Verstärkung des Auslegersystems nicht genügt, um die Traglast zu steigern. Wir haben deshalb auch Ober- und Unterwagen komplett überarbeitet und mit den neuesten Erkenntnissen ausgestattet.
Wir haben versucht, einen perfekten Kran zu bauen. Und das ist er auch geworden.
Welche guten Eigenschaften vom erfolgreichen 600-Tonner konnten übernommen werden?
Steffen Schwertle: Die Wippspitze und die Auslegerköpfe haben wir übernommen – und das ist für Betreiber des LR 1600/2 ein großer wirtschaftlicher Vorteil. Außerdem haben wir darauf geachtet, den LR 1700-1.0 ähnlich transportoptimiert zu konstruieren, wie es in der 600-Tonnen-Klasse üblich ist.
Was zeichnet den LR 1700-1.0 besonders aus?
Steffen Schwertle: Er ist ein regelrechter Alleskönner! Optimal ist er für Industrieanwendungen, weil er so stark und mit der langen Wippspitze ausgestattet ist. Zudem ist er sehr flexibel einsetzbar und genau angepasst an die neuesten Anforderungen für den Bau von Windkraftanlagen. Der starke SA-Bock und das Einziehwerk lassen den LR 1700-1.0 auch beim Hauptmastbetrieb ziemlich gut aussehen.
Und wo liegen die Unterschiede zum Vorgänger LR 1600/2?
Steffen Schwertle: Veränderungen gibt es einige. Wir haben den LR 1700-1.0 mit einem H-System mit 3,5 Meter Breite ausgestattet. Außerdem ist der Derrickausleger länger, um ein Aufrichten von langen Auslegerlängen zu ermöglichen. Den Oberwagenballast haben wir von 190 auf 230 Tonnen erhöht und erreichen so bessere Traglasten ohne Derricksystem. Gleichzeitig steigerten wir das Gewicht der Ballastkonsolen von 5 auf 15 Tonnen, um die Anzahl der Ballastplatten gering zu halten.
Der Kran ist dank Traglasttabellen im S-System und Traglasttabellen im H-System effektiv einsetzbar. Das breitere H-System erzeugt maximale Traglasten, während das S-System einen besonders wirtschaftlichen Transport bietet, da kein Teil die Breite von drei Metern überschreitet.
Für uns war und ist das natürlich aufwendig, da wir für jede der fünfzig Betriebsarten mehrere Traglasttabellen erstellen müssen. Für den Anwender bleibt der Kran einfach, da die Vorauswahl der Tabellen mit jeweils verschiedenen Ballastvarianten und Windgeschwindigkeiten sehr übersichtlich gestaltet ist. Im Hintergrund der Steuerung läuft eine Vielzahl von Tabellen.
Traglastvergleich für den Bau einer Windkraftanlage: LR 1700-1.0 und LR 1750/2
Worauf haben Sie sich bei der Entwicklung mit Blick auf das Anwendungsgebiet Windkraft besonders konzentriert? Und wie konnten die hohen Tragfähigkeiten realisiert werden?
Steffen Schwertle: Besonders erfolgreich beim LR 1600/2 war der 108 Meter Hauptausleger im SL3F-Betrieb und später auch SL13DFB mit 156 Meter Hauptausleger und jeweils 12 Meter fester Spitze. Da die Windkraftanlagen inzwischen immer höher werden, kann der Kunde diese neuen Anlagen mit dem LR 1600/2 nicht mehr aufbauen. Beim LR 1700-1.0 fokussierten wir uns deshalb auf ein Windkraftsystem mit 165 Metern Hauptausleger und einer 12 Meter langen festen Spitze, um Anlagen mit einer Nabenhöhe von 165 Meter bedienen zu können. In dieser Höhe noch 100 Tonnen zu heben ist eine Herausforderung, die wir gelöst haben. Bisher war das nur mit dem LR 1750/2 und dem LR 1800-1.0 möglich.
Bei unserem Neukran ist das sicherlich nur möglich, weil schon während der Entwicklung auf diese Leistungsparameter besonders geachtet wurde. Man kann sagen, wir haben den Ausleger des LR 1700-1.0 genau dafür entwickelt. Es ist ein Zusammenspiel von Gewicht und Steifigkeit der einzelnen Auslegerteile, perfekt abgestimmt auf eine top-optimierte Grundmaschine.
LR 1700-1.0 erreicht eine enorme Ausladung mit dem Auslegersystem S2W: 60 Meter + 96 Meter
Gibt es weitere außergewöhnliche Eigenschaften des Krans?
Steffen Schwertle: Der LR 1700-1.0 ist fit für die Zukunft. Die LICCON2-Steuerung inklusive überwachtem Aufrichten sorgt für hohe Sicherheit. Er ist mit dem verstellbaren Schwebeballast VarioTray ausgestattet. Erwähnenswert ist auch das neue S2W-System, welches ohne Derrickausleger aufrichtbar ist: 66 Meter S2-Hauptausleger mit 96 Meter W-Spitze oder 72 Meter S2 mit 60 Meter W. Die Auslegerstückelung haben wir auf die Betriebsarten optimiert. Die Zwischenstücke können bei allen Betriebsarten verwendet werden und sind sowohl für Anwendungen in der Industrie als auch in der Windkraft flexibel einsetzbar.
Natürlich haben wir den kompletten Kran auch auf optimale Transportmöglichkeiten getrimmt. Die Auslegerstücke sind nach dem bewährten Matrjoschka-Prinzip ineinander schiebbar. Es passt also ein L-Zwischenstück in ein S-Zwischenstück und dann noch in ein H-Zwischenstück.
Transportoptimiertes Auslegerskonzept
Gibt es irgendwelche Anekdoten aus der Entwicklungsphase dieses Krans?
Steffen Schwertle: Nun, wir Statiker schauen ja genau hin, wenn ein Auslegerteil aufgrund einer Änderung schwerer wird. Denn beim Aufrichten des Systems kommt es auf das Gesamtgewicht des Auslegers an – und ist dieser zu schwer, dann lässt er sich nicht aufrichten. Mich haben die beteiligten Kollegen daher gerne als Gewichtspolizei bezeichnet – und das passt ja eigentlich! (lacht)
Mehr zum LR 1700-1.0 erfahren Sie hier.
Dieser Artikel erschien im UpLoad Magazin 02 | 2021.