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Interview mit den Familiengesellschaftern

Stéfanie Wohlfarth und Jan Liebherr, Vizepräsidentin und Präsident des Verwaltungsrates der Liebherr-International AG, im Gespräch.

Frau Wohlfarth, Herr Liebherr, 2024 feiert die Firmengruppe ihr 75-jähriges Jubiläum. Ihr Großvater und Unternehmensgründer Hans Liebherr war bekannt für seinen Pioniergeist. Was an der heutigen Firmengruppe würde ihm wohl besonders gefallen? Wo lebt sein Pioniergeist weiter?

Jan Liebherr: Wir sind seit unserer Gründung und bis heute gesund, nachhaltig und organisch gewachsen. Unser Großvater wäre sicherlich davon beeindruckt, wie sich die von ihm eingeführten Produkte weiterentwickelt haben und wie breit die Produktpalette geworden ist.

Stéfanie Wohlfarth: Außerdem hätte ihm gefallen, dass die zweite Generation die Firmengruppe weiter ausgebaut, beachtlich vergrößert und erfolgreich an uns als dritte Unternehmergeneration übergeben hat. Auch die technologische Vielfalt, die man heute bei uns findet, würde ihn sehr freuen. Sein Pioniergeist ist ein Stück weit in jedem Liebherr-Produkt noch spürbar, da Innovation und Fortschritt bei uns nach wie vor im Mittelpunkt stehen.

Welche Momente oder Erfolge in der Firmengeschichte waren aus Ihrer Sicht besonders bedeutend?

Stéfanie Wohlfarth: Die ersten zehn Jahre nach der Gründung waren sicherlich entscheidend. Sie waren geprägt von zum Teil bahnbrechenden Produktneuheiten. Ein mutiger und wegweisender Schritt war meiner Meinung nach die frühe Internationalisierung unseres Unternehmens. Unser Großvater hat bereits in den späten 1950er-Jahren nach Südafrika und Irland expandiert. In dieser Zeit sind viele Grundlagen für unsere heutigen Produktsegmente entstanden. Wichtig war zudem, dass die Firmengruppe organisch gewachsen ist, aus eigener Kraft und aus eigenen Ideen – ein Grundsatz, dem wir bis heute treu bleiben. Damit verbunden ist die Tatsache, dass wir konjunkturelle Schwächephasen im Laufe unserer Unternehmensgeschichte immer wieder erfolgreich überwinden konnten.

Jan Liebherr: Ebenso bemerkenswert war der frühe Aufbau eigener Kompetenz, um Komponenten selbst entwickeln und damit maßgeschneiderte Lösungen für unsere Kunden anbieten zu können. Und auch die Effizienz und Umweltverträglichkeit von Produkten spielen bei uns schon seit Langem eine wichtige Rolle. Die bereits im Jahr 1993 eingeführten FCKW-freien Haushaltsgeräte sind dafür ein gutes Beispiel. Prägend für unsere gesamte Firmengruppe – wie wir sie heute kennen – war zudem die Neustrukturierung nach Produktbereichen im Jahr 2002.

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Wie beeinflusst die Vergangenheit das Unternehmen heute?

Jan Liebherr: Unsere bisherigen Errungenschaften sind zweifellos das Fundament für unseren heutigen Erfolg. Sie haben uns dahin gebracht, wo wir heute stehen. Und sie haben maßgeblichen Einfluss darauf, wie wir uns im Markt positionieren können und wofür wir stehen. Der Pioniergeist unserer Gründerjahre ist im Unternehmen überall lebendig. Unsere Geschichte inspiriert uns, auch künftige Herausforderungen anzunehmen.

Sie beide haben 2023 das erste Jahr als Vizepräsidentin und Präsident des Verwaltungsrats der Liebherr-International AG absolviert. Was waren für Sie die Höhepunkte?

Stéfanie Wohlfarth: Das letzte Jahr hat uns an viele unserer Standorte weltweit geführt. Dabei haben wir nicht nur einen guten Eindruck von den aktuellen Entwicklungen vor Ort bekommen, sondern hatten oft Gelegenheit zum wertvollen persönlichen Austausch. Besonders gefreut haben wir uns über die außerordentlich positive Resonanz auf der Conexpo, Nordamerikas größter Baufachmesse. Sie hat unsere starke Marktposition und die große Zufriedenheit unserer Kunden eindrucksvoll bestätigt. Ebenso bemerkenswert war für mich die Einweihung des Erweiterungsbaus „Haus Montafon“ des Löwen Hotels in Schruns.

Jan Liebherr: In unserer Partnerschaft mit Fortescue zur Entwicklung emissionsfreier Lösungen für den Mining-Sektor haben wir im vergangenen Jahr wichtige Fortschritte erzielt. Die ersten Muldenkipper T264 aus dem Großauftrag wurden bereits ausgeliefert und die Integration der emissionsfreien Batterie- und Brennstoffzellentechnologie in den T264 ist in vollem Gange. Und mit der Auslieferung des 2000. Krans in einem einzigen Jahr aus unserem Werk in Ehingen haben wir einen weiteren Meilenstein erreicht.

Stéfanie Wohlfarth: Auch in der Luftfahrt haben wir 2023 Großes erreicht: Wir haben uns den Auftrag zur Lieferung elektromechanischer Stellantriebe für das Flugsteuerungssystem des elektrisch angetriebenen Fluggeräts eVTOL von Eve gesichert. Die Stellantriebe mit vollständig integrierter Elektronik gehören zu den ersten weltweit, die für die primäre Flugsteuerung eingesetzt werden. Dies sind nur einige der Meilensteine des letzten Jahres.

Welche Herausforderungen haben Sie in diesem Jahr am meisten bewegt?

Jan Liebherr: Obwohl wir Lieferketten teilweise stabilisieren konnten, haben diese in einigen unserer Sparten weiterhin zu Schwierigkeiten geführt. Zudem gab es in einigen Produktsegmenten Nachfragerückgänge und die globale politische Lage sorgt noch immer für Verunsicherung. Trotz dieser Herausforderungen haben wir insgesamt Kurs gehalten und unser Unternehmen durch diese wechselhaften Zeiten navigiert.

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Lassen Sie uns auf die Zahlen blicken. Wie schätzen Sie das vergangene Geschäftsjahr in dieser Hinsicht ein?

Stéfanie Wohlfarth: Unsere Bewertung fällt insgesamt sehr positiv aus. Trotz der mitunter anspruchsvollen Rahmenbedingungen konnten wir sowohl den Umsatz als auch das Betriebsergebnis steigern. Das Umsatzwachstum zeigt, dass unsere Produkte und Dienstleistungen gefragt sind und wir uns wirksam und schnell an Marktveränderungen anpassen können. In herausfordernden Zeiten wie diesen erfolgreich zu sein, gelingt uns, weil wir mit unserer diversifizierten, internationalen Struktur, unserer ausgeprägten Kundennähe und unseren engagierten Mitarbeitenden stark aufgestellt sind.

Wie haben sich die einzelnen Produktsegmente entwickelt?

Jan Liebherr: Erfreulicherweise haben wir in fast allen Produktsegmenten Umsatzsteigerungen erzielt. Die einzigen Ausnahmen waren die Spezialtiefbaumaschinen und die Turmdrehkrane. Die Umsätze im Bereich Baumaschinen und Mining sind insgesamt um 11,6% gestiegen, während es in den anderen Produktsegmenten zusammengefasst einen Anstieg von 11,3% gab.

Im Vergleich zu 2022 ist das Betriebsergebnis deutlich gestiegen …

Jan Liebherr: Das Geschäftsjahr 2022 war durch hohe Auftragsbestände und eine lange Auftragsreichweite gekennzeichnet. In dieser Situation sind wir mit erheblichen Material- und Energiepreissteigerungen konfrontiert worden. Zudem haben uns unterbrochene und unzuverlässige Lieferketten Probleme bereitet. In 2023 hat sich diese Situation stabilisiert. Somit konnten wir den Umsatz, bei relativ geringer Aufwandssteigerung, deutlich erhöhen, was zu einem wesentlich verbesserten Betriebsergebnis geführt hat.

GB23 Interview 169 Doppelportraet

In der Firmengruppe ist die Beschäftigtenzahl erneut angewachsen. Sie lag Ende des Jahres 2023 weltweit bei 53.659Mitarbeitenden. Warum suchen sich die Menschen gerade Liebherr als Arbeitgeber aus?

Stéfanie Wohlfarth: Diese Entwicklung freut uns natürlich sehr, sie spricht für die Attraktivität unserer Firmengruppe als Arbeitgeber. Es gibt viele Gründe, warum Menschen sich dafür entscheiden, ihre Karriere bei Liebherr zu verfolgen. Zum einen sind unsere Grundwerte für viele Jobsuchende äußerst attraktiv. Außerdem zieht sicher die hohe Innovationskraft von Liebherr talentierte Menschen an, die in einem zukunftsorientierten Umfeld arbeiten möchten. Darüber hinaus schätzen unsere Mitarbeitenden den Spielraum, den sie bei uns erhalten, um ihre eigenen Ideen umzusetzen und ihre Kreativität zu leben. Dazu bieten wir Möglichkeiten zur beruflichen Weiterentwicklung, was unseren Mitarbeitenden hervorragende Chancen für ihr persönliches und berufliches Wachstum bietet.

Welche Investitionsschwerpunkte haben Sie 2023 gesetzt?

Jan Liebherr: Im Jahr 2023 haben wir ein Rekordniveau bei den Investitionen erreicht. Wir haben erheblich in Modernisierungen sowie in den Ausbau der Vertriebs- und Serviceaktivitäten investiert. Diese Entscheidungen sind unmittelbare Konsequenzen unserer Strategie, technologische Führung zu sichern und gleichzeitig unsere Marktreichweite und Kundennähe auszubauen.

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Digitalisierung, alternative Antriebe, Autonomie und Automatisierung waren bei Ihnen die technologischen Schwerpunkte der letzten Jahre. Hat sich hier etwas geändert?

Stéfanie Wohlfarth: Im vergangenen Jahr standen diese Themen ebenso im Mittelpunkt. Wir haben intensiv in diese Bereiche investiert, um Technologien zu entwickeln, die nicht nur effizienter, sondern auch umweltfreundlicher sind. Die Forschung und Entwicklung erfolgte sowohl intern als auch in Kooperation mit Universitäten und Forschungsinstituten. Das unterstreicht die Bedeutung dieser Themen für uns.

Welche Fortschritte haben Sie dabei gemacht?

Jan Liebherr: Im Bereich der Digitalisierung haben wir unsere digitalen Plattformen mit dem Ziel weiterentwickelt, die Effizienz und Sicherheit bei der Bedienung unserer Maschinen nochmals zu erhöhen. Konkret haben wir beispielsweise das Tower Crane Portal in unser Kundenportal MyLiebherr integriert und nützliche Anwendungen wie MyNotifier entwickelt, die Kranführer über wichtige Betriebsdaten informiert.

Stéfanie Wohlfarth: Bei der Autonomie und Automatisierung geht es ebenfalls voran. Als ein Beispiel sei unsere Arbeit an der automatisierten Demontage von Batteriesystemen genannt. Dadurch können in Zukunft mehr Fahrzeugbatterien recycelt werden.

Jan Liebherr: Im Bereich der alternativen Antriebe haben wir bemerkenswerte Fortschritte gemacht. Dazu gehört die Entwicklung von Maschinen mit elektrischen Antrieben. Zwei Beispiele für Neuentwicklungen sind unser erster batterieelektrischer Radlader L507E und die Elektroumschlagmaschine LH80M HighRise Industry. Im Rahmen unseres technologieoffenen Ansatzes haben wir uns weiterhin mit alternativen Kraftstoffen beschäftigt.

Lassen Sie uns noch einen Blick auf das laufende Geschäftsjahr werfen: Wie sehen Ihre Prognosen für 2024 aus?

Jan Liebherr: Obwohl die Gesamtprognosen für die globale Wirtschaft eher verhalten sind und die bereits erwähnten Rahmenbedingungen und Unsicherheiten belastend wirken werden, sind wir zuversichtlich. Ein solider Auftragsbestand und eine gute Nachfrage in vielen Branchen geben uns Grund zu Optimismus. Dank unserer hohen Diversifizierung und internationalen Ausrichtung können wir selbst Rückgänge in einzelnen Produktsegmenten und Ländern sicher abfedern und unseren Erfolgskurs beibehalten.

In Anbetracht des 75-jährigen Bestehens: Welche Ziele verfolgt Liebherr für die nächsten Jahrzehnte?

Stéfanie Wohlfarth: Wir werden weiterhin auf gesundes Wachstum als langfristiges Ziel für die kommenden Jahre und Jahrzehnte setzen. Das möchten wir erreichen, indem wir Menschen für uns gewinnen, die sich für Technologien begeistern und mit ihren Ideen die Welt von morgen und übermorgen verantwortungsbewusst mitgestalten wollen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Dieses Interview wurde im März 2024 geführt.

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