Verzahntechnik und Automationssysteme
liebherr-story-lh-robotics-vision-stage

Bin Picking leicht gemacht

Der „Griff in die Kiste“ gehört zu den schwierigsten Disziplinen in der Automation. Das Einstellen der Parameter zum sicheren Erkennen und Greifen der häufig komplexen Objekte ist anspruchsvoll und erfordert viel Expertise. LHRobotics.Vision, eine Software der Liebherr-Verzahntechnik GmbH aus Kempten, vereinfacht das Bin Picking für Anwender mittels Künstlicher Intelligenz (KI) nun erheblich.

Bin Picking spielt in der Automation eine immer größere Rolle. Der „Griff in die Kiste“ zählt dabei zu den schwierigsten Aufgaben: Der Roboter muss unterschiedliche, auch chaotisch angeordnete Objekte mit teilweise komplexen Geometrien erkennen, kollisionsfrei aus dem Behälter entnehmen, in eine orientierte Lage bringen und an die Maschine übergeben. Die Einrichtung des Zusammenspiels zwischen Bauteilen, Kiste und Greifer erfordert eine Menge Erfahrung und Know-how des Bedieners.

Wir wollen das ‚Bin Picking für jedermann‘ ermöglichen.

Jürgen Groß, Vertriebsleiter Zellen & Flexible Fertigungssysteme, Automationssysteme

Herausforderung Bin Picking

Daher ist die Implementierung von Bin Picking-Lösungen für Anwender eine große technologische Herausforderung. Ohne Unterstützung durch den Systemhersteller oder Integrator geht es in den meisten Fällen nicht. Wie wäre es aber, wenn das System lernfähig wäre und die Parameter bei der Einstellung oder sogar im laufenden Betrieb selbstständig anpassen könnte?

Die Liebherr Verzahntechnik GmbH, ein führender Hersteller von Automationslösungen, hat sich mit dieser Frage beschäftigt und arbeitet an einer Weiterentwicklung der eigenen Software LHRobotics.Vision. Mittels Künstlicher Intelligenz (KI) vereinfacht diese die Parametrierung für den Bediener erheblich. „Wir wollen das ‚Bin Picking für jedermann‘ ermöglichen“, fasst Jürgen Groß, Vertriebsleiter Flexible Fertigungs- und Automationssysteme bei Liebherr, das Ziel des Projekts zusammen.

Liebherr ist bekannt als Hersteller kompletter Roboterzellen mit integrierter Bin Picking-Software. 2020 entschloss sich das Kemptener Unternehmen, die Software als eigenständiges Produkt anzubieten. Damit lässt sie sich auch in Anlagen anderer Hersteller verwenden – was sie sowohl für Endanwender als auch für Integratoren attraktiv macht.

Physics Engine

Eine Physics Engine ist ein Simulationsprogramm, das Objektinteraktionen und -kollisionen in einer virtuellen Welt modelliert. Es berücksichtigt dabei Parameter wie Schwerkraft, Elastizität, Reibung und Impulserhaltung zwischen kollidierenden Objekten.

Technologiepaket LHRobotics.Vision

Das Technologiepaket umfasst neben der grafisch geführten, intuitiv bedienbaren Software auch ein projektorbasiertes 3D-Kamerasystem. Dieses ermöglicht eine objektorientierte Bilderkennung durch Auswertung einer 3D-Stereo-Vision-Aufnahme. Aus den 3D-Daten der Bauteile und den Störkonturen der realen Kisten wird eine Punktewolke erzeugt, die als Basis für die Bahnplanung der kollisionfreien Bauteilentnahme dient. Die gewünschten Greifpunkte am Bauteil lassen sich einfach grafisch in der Software festlegen, das aufwendige Teachen des Roboters entfällt.

Ein besonderes Feature ist das optionale Simulationstool LHRobotics.Vision Sim. Mittels Physics Engine wird eine Kistenbefüllung simuliert, anschließend eine virtuelle Punktewolke erzeugt und ausgewertet. Damit kann der Anwender rein virtuell die Greifergeometrie anpassen und Abläufe optimieren, um einen verbesserten Entleerungsgrad auch tiefer Kisten zu erzielen – ohne Risiko und ohne teure Investitionen in eine Test-Hardware.

KI hält Einzug ins System

liebherr-story-lh-robotics-vision-content1

Für September 2021 ist ein neues Release der Software LHRobotics.Vison geplant. Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen ermöglichen das automatische Einrüsten neuer Bauteile in den Bin Picking-Prozess – ein Quantensprung in dieser Technologie. Dabei berechnet das System auf Basis realer Scan-Daten die geometrischen Parameter der Bauteile und analysiert die Auflösung und das Rauschverhalten des Sensors.

Anschließend werden aus diesen Scan-Daten Testmessungen generiert, mit deren Hilfe dann die optimalen Einstellparameter ermittelt werden. Das vereinfacht Prozesse und spart Zeit und Kosten. Indem das System sich beim Einrüsten mit jedem Scan selbst trainiert, schafft es die Grundlage für den nächsten Schritt: das maschinelle Lernen im laufenden Betrieb.

Bei Liebherr sind wir vertraut mit der Anwenderseite und bringen unsere gesamte Prozesskompetenz ein. Damit sind wir ein echter Partner für die Industrie und auch für künftige Entwicklungen gut gerüstet.

Jürgen Groß, Vertriebsleiter Zellen & Flexible Fertigungssysteme, Automationssysteme

Prädestiniert für E-Mobilitätsanwendungen

„Viele Anwender schrecken heute noch vor dem Bin Picking zurück, weil es angeblich so komplex sei und man sich diese Baustelle nicht ins Haus holen wolle. Mit dem neuen Software-Release können wir nun unseren Anwendern und Integratoren diese Ängste weiter nehmen“, so Jürgen Groß und erläutert weiter: „Wir sehen den Paradigmenwechsel in der ganzen Branche auch als Chance: Aufgrund des Umbruchs im Automotive-Sektor und der Umstellung auf E-Mobilitätsanwendungen müssen wir uns den neuen Herausforderungen stellen.“

So setzt Liebherr schon heute auf Vision-Systeme mit Künstlicher Intelligenz (KI) für das prozesssichere, automatische Stecken von biegeschlaffen Kabelverbindungen – beispielsweise den Modulverbindern der Batteriepacks von E-Fahrzeugen. Die Veränderungen durch die E-Mobilität betreffen nicht nur den Antriebsstrang, sondern auch Karosserien, die zunehmend in Leichtbauweise gefertigt werden. Auch hier setzt Liebherr erfolgreich auf LHRobotics.Vision bei der Kommissionierung und Entnahme von Blechbauteilen.

„Die KI ist eine Schlüsseltechnologie, ohne die künftige Anforderungen hinsichtlich der Teilegeometrie und -beschaffenheit über den Produktlebenszyklus hinweg kaum mehr zu bewältigen sein werden“, so Jürgen Groß. „Bei Liebherr sind wir vertraut mit der Anwenderseite und bringen unsere gesamte Prozesskompetenz ein. Damit sind wir ein echter Partner für die Industrie und auch für künftige Entwicklungen gut gerüstet“, fasst er abschließend zusammen.

Das könnte Sie auch interessieren