Mobil- und Raupenkrane
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9 Minuten | Magazin 02/2021

Eine Findlingsbergung im Emsland

Irgendwann im Jahr 1950 stapft der damals vierzehnjährige Josef Dörtelmann mit dem Ackergaul seines Vaters über ein Feld der Bauernfamilie im Emsland. Unweit des Dörfchens Hüven waren der Junge und das Pferd dabei, den Acker zu bestellen, als die Pflugschar unerwartet gegen die Kuppe eines großen Steins im Untergrund schlägt.

Mach dich vom Acker!

Genau hier und damit ziemlich exakt in der Mitte des vorigen Jahrhunderts beginnt unsere Geschichte. Ein Mobilkran von Liebherr hat sie im vergangenen Dezember zu Ende gebracht. Der Autokranbetreiber und Schwerlast-Logistiker Gertzen, ebenso wie der unterirdische Stein im Emsland beheimatet, hat ihn geborgen und auf dem Dorfanger von Hüven aufgestellt. Eine Feldstudie. Ein Ackerbericht.

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Chef am Schrauben: In der Nacht vor der Bergung des gewaltigen Findlings ist auch Geschäftsführer Wolfgang Gertzen dabei, als drei robuste SPMT-Transportmodule zusammengespannt werden.

„Vor fast genau 70 Jahren bin ich erstmals mit dem Pflug über den Stein geschrubbt“, erzählt der mittlerweile hochbetagte Dörtelmann, als er im Dezember kurz vor der Bergung des Findlings letztmalig „seinen“ großen Kiesel auf dem Acker besuchen kommt. Jahrzehntelang hat er diese lästige Stelle mit der knapp unter der Krume gelegenen Steinkuppe mal mehr, mal weniger erfolgreich umfahren. „Nach vierzig Jahren hab ich dann versucht, das Ding freizulegen“, erzählt er. Beim Ausgraben aber wurde der felsige Buckel unaufhörlich größer, der Umfang der freigelegten Steinfläche wuchs und wuchs. Als kein Ende des zunehmenden Ausmaßes in Sicht kam, gab sich Dörtelmann seinem unterirdischen Quälgeist schließlich geschlagen. Und schüttete das Ganze mit Sand wieder zu.

Weitere drei Jahrzehnte gehen ins Land – die Felder des Bauernhofs werden längst von Dörtelmanns Sohn Franz mit modernen Maschinen bestellt – bevor der nächste Anlauf zur Erkundung des störenden Untergrunds genommen wird. Mit der Schaufel am Frontlader seines Traktors gräbt sich Dörtelmann junior im vergangenen Sommer von einer Seite her zum Stein vor.

Wir sind bis zu einem Lastfall von 148 Tonnen vorbereitet.

Geschäftsführer Wolfgang Gertzen

Die Schneise im Ackerboden wird immer tiefer und länger. Aber irgendwann muss auch er seine Bemühungen mit dem Schlepper einstellen: „Bei zwei Metern wurde mir das Risiko einfach zu groß, dass die Erdwände einstürzen.“ An dieser Stelle jedoch endet die Familientradition, denn der Landwirt will es jetzt wissen. Der Bagger eines Freundes wird herbeigeschafft und viele Stunden sowie etliche gefüllte Baggerschaufeln später ist der Findling in seiner ganzen Opulenz freigelegt. Wie ein unförmiges Ei ruht der felsige Koloss in seinem irdenen Nest.

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Für die Bergung des Findlings setzt Geschäftsführer Wolfgang Gertzen mit dem LTM 1750-9.1 seinen stärksten Kran zur Feldarbeit ein.

An manchen Tagen pilgern hunderte Schaulustige zur Fundstelle

Schnell wächst der Bekanntheitsgrad des „Findlings von Hüven“, wie er in den Zeitungen inzwischen genannt wird. Er wird bald zum regelrechten Publikumsmagneten in der Gegend. An manchen Sonntagen, schätzt Hüvens stellvertretender Bürgermeister Alfons Kohne, tummeln sich bis zu 400 Schaulustige auf Dörtelmanns Acker. Der Findling ist schließlich einer der größten Brocken, die jemals in Niedersachsen gefunden worden sind. Auch Landesgeologen reisen an, untersuchen, begutachten, taxieren. Erste Schätzungen der Fachleute kalkulieren das Gewicht des Steins auf etwa 70 Tonnen. Alfons Kohne kann das Autokran- und SchwertransportUnternehmen Gertzen im rund 20 Kilometer entfernten Kluse dafür gewinnen, zu akzeptablen Konditionen den Findling aus dem Ackerloch zu heben und ihn einige Kilometer weit in das Dörfchen Hüven zu verfrachten. Für Geschäftsführer Wolfgang Gertzen ist dieser nicht alltägliche Job im Emsland ein Heimspiel. Und es ist für ihn auch irgendwie eine Selbstverständlichkeit, sich hier zu engagieren. „Die ganze Sache grenzt fast schon an Charity“, räumt Gertzen auf Nachfrage ein. Für den Hub hat er zunächst seinen Liebherr-Kran LTM 1500-8.1 im Sinn.

Stein kam mit Gletscher aus Skandinavien

Doch dem Kranunternehmer sollte eine noch etwas größere Portion an Lokalpatriotismus abverlangt werden. Eine weitere Untersuchung des Geologischen Dienstes stellte nicht nur fest, dass der Findling während der Saale-Kaltzeit, der vorletzten Eiszeit vor über 150.000 Jahren, von oder in einem Gletscher aus Skandinavien herangeschoben worden war.

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Huckepack: Vom Hubsteiger aus packt Projektleiter Franz Gruber mit an. Mächtige Ketten und Spanngurte fixieren die über 100 Tonnen Granit auf dem Spezialtransporter.

Obendrein verpassten die Geologen dem steinernen Star in der Grube nach präziser Vermessung und Entnahme von Gesteinsproben eine neue Gewichtsklasse: 100 bis 140 Tonnen Granit. Damit war klar: Ein stärkerer Kran muss her-ein Fall für das hubmächtige Flaggschiff der Gertzen-Kranflotte.

Und so rollte zwei Wochen vor Weihnachten der Liebherr LTM 1750-9.1 auf den gelbgrün wogenden Senfacker. Der freigelegte Findling war zu diesem Zeitpunkt längst zum Naturdenkmal erklärt, Bohrarbeiten im Fels verboten sich somit. Vielmehr sollten Gertzens Projektleiter Franz Gruber und Dieter Hilgefort, der langjährige Fahrer des 9-achsigen Krans, dem Brocken eher mit Samt- als mit Arbeitshandschuhen zu Leibe rücken.

Obwohl „alte Hasen“ im Krangeschäft, war für die beiden kundigen Profis das sichere Fassen des Schwergewichts kein einfaches Unterfangen. Der massige Steinhüne mit einem Umfang von etwa 15 Metern lag unbeweglich im tiefen Loch. Unterstützung beim Anbringen der Anschlagmittel unter der Last erhielten die beiden von einem ansässigen Unternehmen für Horizontalbohrungen. Unter Einsatz dieser Spezialtechnik konnten mächtige Stahlseile unter dem Granitstein hindurch befördert werden. Spanngurte sorgten letztendlich für einen festen Sitz sämtlicher Seile und Ketten am etwas unförmigen Koloss.

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Wendemanöver: Eine 90-Grad-Drehung des 18-achsigen Vehikels auf der Stelle ist hier beim Abbiegen an der Straßenkreuzung in Hüven erforderlich. Das Team von Gertzen überzeugt sowohl beim Heben als auch beim Bewegen des Schwergewichts.

Ein Platz auf dem Siegertreppchen?

Begleitet von großem Presseaufgebot und einer nicht kleinen Schar Zaungästen wurde es am nächsten Morgen beim Anheben des Steinriesen dann ziemlich spannend. Die Nervosität galt jedoch nicht etwa der Sorge, der dicke Brocken könnte schwerer sein, als im Maximum geplant. „Wir sind bis zu einem Lastfall von 148 Tonnen vorbereitet“, erklärte Wolfgang Gertzen. „Sollte der Findling mehr wiegen, müssten wir den Kran nachrüsten.“ Die vorherrschende Frage war vielmehr, welchen Platz der Hüvener Stein im Ranking der Findlinge Niedersachsens einnehmen würde. Der Erstplatzierte lag wegen seiner 330 Tonnen Gewicht uneinholbar vorn. Eng wurde es für die Plätze zwei und drei der Landesliste mit Steinen von jeweils rund 110 Tonnen. Gelüftet wurde das Geheimnis erst, als der stattliche Klops schließlich am Haken hing und aus dem Erdloch gezogen wurde. Über Funk verkündete Dieter Hilgefort aus seiner Krankabine heraus den Netto-Lastfall: 102,5 Tonnen. Platz vier für den Kandidaten.

Dieser wurde nun auf drei miteinander verbundene SPMTSelbstfahrer mit insgesamt 18 Achslinien verladen und festgezurrt. Auch Firmenchef Wolfgang Gertzen hatte die Nacht zuvor Hand angelegt, als die kräftigen Lastenträger aneinandergedockt worden waren. Theoretisch hätte auch nur eines dieser drei Schwerlast-Vehikel für das prognostizierte Gewicht ausgereicht. Die für die Straßenfahrt zulässigen Achslasten machten diesen Mehraufwand jedoch erforderlich.

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Am Ziel: Wolfgang Gertzen, rechts im Bild, mit seiner Truppe nach erfolgreichem Abschluss der Bergung

Der anschließende Transport vom Fundort über die 380 Meter auf dem Acker ausgelegte Fahrstraße und die knapp drei Straßenkilometer klappte wie am berühmten Schnürchen. Die professionelle und präzise Planung der GertzenTruppe zahlte sich aus. Die Turmuhr der Dorfkirche schlug Mittag, als der schwere Tross in Hüven eintraf. Auf der Fahrt durch das kleine Örtchen wurde es dann noch einmal knifflig: Das annähernd 30 Meter lange Gefährt musste auf einer Straßenkreuzung eine Drehung um 90 Grad auf der Stelle vollführen, um die Kurve zu packen. Doch Ingo Wiggelinghoff an der Fernsteuerung des Spezialtransporters kriegte sie im wahrsten Wortsinn. Gertzens Mann für die selbstfahrenden und elektronisch gesteuerten SchwerlastTransportmodule, der an diesem Tag erstmals mit dieser Achszahl hantieren musste, meisterte das eindrucksvolle Manöver mit Bravour.

Mehr als beeindruckend war übrigens auch die kurze Zeitspanne von knapp vier Stunden, in der der LiebherrMobilkran auf dem Acker abgebaut, ins Dorf gebracht und dort wieder zugbereit gemacht wurde. Auch diese Prozedur irgendwie rekordverdächtig. Das Abladen und Setzen des Findlings am Ortsrand war dann in sage und schreibe 15 Minuten äußerst rasch erledigt. Und nach seinem Dornröschenschlaf auch das Ende eines doch eher unruhigen Tages für den Findling von Hüven.

Dieser Artikel erschien im UpLoad Magazin 02 | 2021.

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